Ungarns Flüchtlingsfeindlichkeit - ohne Flüchtlinge
Größter Leidtragender der neuen Verschärfungen dürfte neben den Geflüchteten das Nachbarland Serbien sein
Belgrad. Entschlossen bläst Ungarns selbsternannter Feldherr zum nächsten Kampf. Das Land werde »belagert«, warnt Premier Viktor Orban. Noch immer planten »Millionen« von Menschen, nach Europa zu drängen. Doch zumindest habe sich die Nation die Zeit verschafft, ihre »Verteidigungslinien zu festigen«: »Wir können es uns nicht erlauben, uns zurückzulehnen.«
Tatsächlich treibt seine nationalpopulistische Regierung seit 2015 die Selbstabschottung des Landes resolut voran. Doch obwohl der zweite Grenzzaun zu Serbien fast fertig ist, immer neue Hundertschaften sogenannter »Grenzjäger« in pompösen Zeremonien vereidigt werden und die Zahl der Asylgesuche auf ein Minimum geschrumpft ist, hält Orban die Flüchtlingsfrage mit Blick auf seine Umfragewerte gezielt am Köcheln: Die erneute Verschärfung der ohnehin restriktiven Asylpolitik dient vor allem politischen Zielen.
Laut Hilfsorganisationen sollen es 400, laut der Regierung 600 Asylbewerber sein, die sich derzeit noch im abgezäunten Donaustaat befinden. Schon jetzt harrt der Großteil von ihnen in den geschlossenen Lagern sogenannter »Transitzonen« an der Grenze zu Serbien auf den Ausgang ihrer beschleunigten Asylverfahren. Künftig droht allen Asylbewerbern der Zwangsaufenthalt in den kargen Containerherbergen im Grenzland zu Serbien – für unbestimmte Zeit und zu verschärften Bedingungen.
Die in dieser Woche abgesegnete Verschärfung der Asylprozedur soll die festgesetzten Bittsteller noch schneller und effektiver wieder aus dem Land befördern. Größter Leidtragender dürfte außer den Betroffenen Serbien sein. Selbst von der Ukraine eingereiste Asylbewerber könnten in die Transitzonen gepfercht und dann ins Nachbarland abgeschoben werden, »auch wenn sie nie in Serbien waren«, so Zoltan Somogyvare vom Helsinki-Komitee in Budapest: »Man spuckt mal wieder auf die Nachbarn.«
Jeder illegale Migrant, der innerhalb einer Achtkilometer-Zone aufgegriffen wird, muss seit Sommer 2016 mit der sofortigen »Rückführung« nach Serbien rechnen – ohne einen Asylantrag stellen zu können. Wortreich dementieren Ungarns Diplomaten zwar die Berichte von Flüchtlingen, von Grenzern regelmäßig verprügelt zu werden. Doch nicht nur deren Verletzungen, sondern auch die Berichte von Ärzten lassen kaum Zweifel zu: Die Misshandlung der missliebigen Grenzgänger scheint fester Bestandteil von Ungarns Politik der Abschreckung zu sein.
Nur bei legaler Einreise hatten Flüchtlinge bisher das Recht, einen Asylantrag in Ungarn zu stellen. Wurden in den beiden Transitzonen zunächst jeweils 30 Asylbewerber aufgenommen, hat sich deren Zahl mittlerweile auf jeweils fünf pro Werktag reduziert. Doch selbst wer nach monatelanger Wartezeit in die Transitzone gelangt, hat schon jetzt kaum Aussicht auf den Asylstatus. So wurden im Januar 426 Asylanträge registriert, aber nur 21 positiv entschieden. 2016 wurden von insgesamt 29.432 Asylanträgen gar nur 425 bewilligt. Zum Vergleich: Deutschland nahm im letzten Jahr 280.000 und 2015 gar 890.000 Asylbewerber auf.
Mit den nun abgesegneten Gesetzen zieht Budapest die Gangart noch einmal an. Statt wie bisher maximal 28 Tage können selbst Minderjährige ab 14 Jahren nun auf unbestimmte Zeit interniert werden. Bei einer Anreise aus einem als sicher erklärten Drittland wie Serbien darf kein Asylantrag mehr gestellt werden. Die Frist zur Einlegung einer Berufung wird von sieben auf drei Tage verkürzt. Urteile müssen künftig nicht mehr von Richtern, sondern können auch von Gerichtsdienern verlesen werden: Bei der Ablehnung ihres Asylgesuchs sollen die Antragsteller selbst die Kosten für ihre Internierung übernehmen.
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