Bob Woodward, Carl Bernstein - und Hans Meiser?
»Werbende Finanzaufseher« und »unabhängige Publizisten mit Renditefokus« - die Wahrheit kriegen sie nicht zu fassen
Neulich bekamen wir ein verlockendes Angebot: Content von watergate.tv - einer Plattform, bei der RTL-Urgestein Hans Meiser mitmischt und die verspricht, immer auf der Jagd nach der Wahrheit zu sein. Gewissermaßen als Gegenteil von Lügenpresse. Das Angebot trudelte als geschäftliche Mail bei den neulandrebellen ein. Man erklärte uns, dass wir nichts bezahlen müssten und trotzdem Artikel zum Publizieren geliefert bekämen. Alles frei Haus: Wo gibt es denn heute noch was geschenkt? Und dann noch Qualität! Plus Hans Meiser. Am selben Tag landete noch eine Mail bei uns, nicht von watergate.tv, aber auch schrecklich investigativ: Man stellt in Aussicht, dass Hans Meiser über Diabetes aufklärt. Das sei nämlich heilbar. Nur die Pharmaindustrie wolle das vertuschen. Was haben die alle mit dem Meiser?
Nach einem kurzen Blick auf die Website war klar: Ist nicht! Wir machen unserern qualitativen hochwertigen Content selbst. Schon vorher fiel mir watergate.tv in den sozialen Netzwerken auf, ich ging der Sache aber nicht nach. Die Betreiber buhlten rege um Aufmerksamkeit und schalteten auch bezahlte Werbeanzeigen auf Facebook. Sie praktizierten penetrantes Klickmarketing mit angeblichen Aufdeckungen. Das merkte man vor allem an ihren Schlagzeilen. Alles, was die »aufdeckten«, verkauften sie als Skandal - als etwas, das noch nie dagewesen ist und nun von ihnen, von den Watergate-Crewmen, exklusiv und einmalig an das Licht der Öffentlichkeit gehievt wurde wie ein nur schwer zu bergender Schatz.
Das Themenspektrum, das die Crew bediente, laviert zwischen plumper Merkel-Kritik, Überfremdungsangst und scheinbar investigativer Aufdeckungsarbeit. Selbst stellen sie sich als Team von Spitzenjournalisten vor, das man aber ehrlich gesagt nicht kennen muss. Außer vielleicht Meiser, aber der schreibt eher selten und dient wohl mehr als Zugpferd für all die RTL-Intoxikierten da draußen. Allen ist aber gemein, dass sie einer Verschwörung gegen das deutsche Volk auf den Zahn fühlen wollen. »Mutti Merkel« - einer der Autoren nennt die Bundeskanzlerin ganz originell und journalistisch seriös wiederholt so – könne nun Dank watergate.tv nicht mehr einfach weiter Verrat an Deutschland üben.
Deren Duktus ist durchweg reißerisch. Heute gibt es zum Beispiel »5 Zeichen, dass der EURO-CRASH kommt«, gestern hieß es »6 Gründe, warum Deutschland die Grünen nicht braucht« und letzte Woche konnte man »3 Gründe gegen Gabriel« erfahren. Man verabscheut die Sozialdemokraten wie die Union. Dort schreibt die Alternative. Für Deutschland? Die Linkspartei erwähnt man eher selten. Wenn aber doch, dann ist der Ton abschätzig und reanimiert einen wenig eloquenten und sachfundierten Antikommunismus, für den sich ein Gerhard Löwenthal fremdgeschämt hätte.
Nun ist das alles ja nicht der Rede wert: watergate.tv ist ja nur ein Fliegenschiss in den Weiten des Netzes. Aber es ist dennoch ein blendendes Beispiel dafür, wie sich Medien mit Rechtsdrall heute als pfiffige Blogger verkleiden, um eine Weltanschauung zu publizieren, die so tut, als sei sie gar keine. Man macht auf neutral und ergebnisoffen und gibt vor in Zeiten journalistischer Vertrauenskrisen die einzige Ausflucht und Alternative zu sein. Erst zählt man »7 Gründe wählen zu gehen« auf und dann legt man zwei Tage danach »5 Gründe NICHT die Etablierten zu wählen« nach. Wohin wollen diese Autoren, die vermutlich ein gelegentliches Problem mit ihrer Feststelltaste haben, die Kreuzchen ihrer Leserschaft wohl steuern?
Für solche Alternativangebote gibt es mittlerweile einen großen Absatzmarkt. Zwischen AfD und Pegida sind solche Artikel beliebt. Auf Seiten von rechtsbewegten Sympathisanten findet man die Texte von watergate.tv dann auch zitiert. Damit lässt sich heute Kasse machen. Und da ist die YES investmedia GmbH, in deren Unternehmensbereich watergate.tv fällt, natürlich dabei. Sie empfiehlt sich auf ihrer Website mit folgenden Portfolio: »Wir sind schreibende Investoren. Wir sind werbende Finanzaufseher. Wir sind unabhängige Publizisten mit Renditefokus.« Und nebenher geht man noch auf die Jagd nach der Wahrheit. Zu fassen kriegt man die allerdings nicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.