Eine »NATO« für den Nahen Osten?
Israel und diverse arabische Staaten basteln aus Furcht vor Iran an einem Militärbündnis
Saudis, die heutzutage ihre Morgenzeitung aufschlagen, lesen dort recht häufig Erstaunliches. Hatten die weitgehend zensierten Medien Jahrzehnte lang die Themen Israel und Judentum umschifft, bekommen die Leser nun seit einigen Monaten geballte Aufklärung. So schrieb der bekannte Kolumnist Siham al Kahtani dieser Tage, die Darstellung von Juden im Koran als Ungläubige und Kriegstreiber entstamme ausschließlich den Bedingungen in jener Zeit, in denen der Koran entstand. Und der Kommentator Jasser Hidschasi forderte, Araber müssten »mit ganzer Kraft« gegen Judenfeindlichkeit ankämpfen. Und »Jude«, das ist in diesem Teil der Welt gleichbedeutend mit »Israel«.
Verantwortlich für diese Wärmewelle ist der Konflikt mit Iran. Saudi-Arabien und die kleineren Golfstaaten fühlen sich durch die Islamische Republik bedroht; wie auch Israel lehnen sie den Atomdeal ab. So groß sind die Befürchtungen, dass man nun gemeinsam mit Ägypten und Jordanien an einem regionalen Verteidigungsbündnis nach dem Vorbild der NATO gegen Iran zimmert. Denn die Hauptsorge ist nicht die iranische Politik, sondern das Militär rund um die Revolutionsgarden: Sie sind die wahren Machthaber in Iran.
Ayatollah Ali Khamenei ist mittlerweile ein alter Mann, ein Nachfolger mit ebenso großem Einfluss derzeit nicht in Sicht. Viele Kritiker des Abkommens warnen davor, dass die Revolutionsgarden, die das konservativste Element im iranischen Machtgefüge bilden, das Atomprogramm jederzeit auch gegen den Willen von Ayatollah und Regierung wieder aufleben lassen können. Das neue Militärbündnis, erklärt Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, solle dem eine so übermächtige Streitmacht entgegensetzen, »dass niemand in Iran es wagt, andere anzugreifen«. Nach jetzigem Stand sollen die beteiligten arabischen Staaten dafür gemeinsame Kommandostrukturen schaffen, während Israel offiziell ausschließlich Logistik und Geheimdienstinformationen liefert, sich aber nicht mit eigenen Truppen beteiligt - wobei im Ernstfall mit Sicherheit israelische Truppen eingesetzt werden würden.
Die Öffentlichkeit in den entsprechenden Ländern ist nach wie vor überwiegend gegen eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel. Gemeinsame Truppeneinsätze wären kaum durchführbar, ohne zur Bedrohung für die Regime in den beteiligten arabischen Staaten zu werden. Doch zwischen den Regierungen herrscht bereits seit Jahren ein freundlicher Ton. Mit Ägypten und Jordanien hat Israel bereits seit langem offiziell diplomatische Beziehungen. Auf der arabischen Halbinsel unterhält man Handelsvertretungen. Zudem verfügt Israel über eine Botschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten, offiziell der UN-Organisation für erneuerbare Energien IRENA zugeordnet, inoffiziell aber für die Beziehungen zu Regierungen auf der arabischen Halbinsel zuständig.
»Die Bedrohung durch Iran betrifft alle Staaten der Region und muss vereint angegangen werden,« sagt der saudische General Ahmed Asiri. Und: »Wir haben keine offiziellen Beziehungen zu Israel.« Neu ist dabei das Wort »offiziell«. Nachdem sein pensionierter Kollege Anwar Eschki im vergangenen Jahr nach Israel gereist war, hatte Asiri noch betont, der Ex-General sei gar nicht in Israel, sondern in Jerusalem gewesen. Mittlerweile sind auch Vertreter mehrerer Regierungen auf der arabischen Halbinsel nach Israel gereist - sehr zum Missfallen der Palästinenser. Sie spielen auf der Tagesordnung der arabischen Welt kaum noch eine Rolle. In den Medien fordern die Kommentatoren seit einiger Zeit, die palästinensische Führung solle sich mit Israels Regierung an den Verhandlungstisch setzen und »endlich« ein Ergebnis erzielen: »Die Palästinenser sind nicht mehr der Mittelpunkt der arabischen Welt«, schreibt etwa Muhammad al Scheich in der Zeitung »al Watan«. »Wir stehen vor sehr großen Problemen und werden an der Lösung gehindert, wenn wir uns nur auf die Palästina-Frage konzentrieren.«
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