Parallelwelten
Michael Wolffsohn und das »Axt-Attentat«
Wir leben in Wende-Zeiten - medientechnisch gesehen. Die alten Medien Zeitung und Fernsehen werden durch die sozialen Plattformen im Internet als Hauptverbreitungsorgane von Nachrichten abgelöst. Diesem Prozess eigen ist der Drang des Neuen, mit aller Macht das Alte zu vernichten. Als etwa vor gut 80 Jahren das Radio die gedruckte Zeitung als Hauptlieferant aktueller Meldungen verdrängte, geschah dies u. a. dadurch, dass es die handwerklichen Regeln des Zeitungsgeschäfts in den Staub trat - die Verbreitung einer Nachricht auch auf die Gefahr hin, dass es sich nur um ein Gerücht handeln könnte, war wichtiger als die Überprüfung einer Meldung auf ihren Wahrheits-, mindestens aber Wirklichkeitsgehalt. Und da sich mit dem Gerücht Ressentiments bedienen lassen und Kundschaft akquirieren lässt, war diese Methode erfolgreich. Auch Zeitungen haben sich ihrer bedient, aus Angst, den Konkurrenzkampf zu verlieren - und so entstand die moderne Boulevardpostille.
Zum handwerklichen Grundsatz von Journalisten gehört es, dass eine Quelle allein noch keine Nachricht wert ist und dass man nur darüber berichten sollte, was von mindestens einer weiteren Quelle bestätigt wurde. Weil aber in den sozialen Netzwerken mittlerweile noch jedes Ereignis schon vermeldet und kommentiert wird, bevor überhaupt Klarheit über die Gründe und Ursachen desselben herrscht, sinken auch die Qualitätsstandards des Journalismus.
Und wie immer ist der Boulevard hier an vorderster Stelle. Michael Wolffsohn, Historiker und gelegentlich als Journalist tätig, hat am Sonntag in einem Kommentar auf bild.de ein treffliches Beispiel für diesen Trend geliefert. Am Donnerstag hatte ein Mann am Düsseldorfer Hauptbahnhof mehrere Menschen mit einer Axt attackiert und verletzt. Am Freitag erklärte die Polizei, die Tat habe keinen terroristischen Hintergrund, der Verdächtige sei wegen suizidaler Absichten in psychiatrischer Behandlung gewesen. Es habe »zu keiner Zeit« Hinweise auf ein extremistisches oder islamistisches Motiv gegeben. Das sind Informationen, an die sich Journalisten orientieren müssen, weil sie den derzeitigen Wissensstand wiedergeben.
Michael Wolffsohn ficht das nicht an. Allein die Tatsache, dass der Verdächtige aus Kosovo stammt, lässt ihn sicher sein, dass die Behörden die »Allgegenwärtigkeit der Terrorgefahr« herunterspielen wollen. Die »Beweiskette« ist dabei von Argumentationen inspiriert, wie man sie auf verschwörungstheoretischen Seiten im Internet findet. »Jedermann weiß«, schreibt Wolffsohn, »das Kosovo ist eine gewaltgeprägte, mehrheitlich islamische Region«. Der »Bild«-Kommentator munkelt, ob die »Sprachregelung ›psychische Probleme‹ tatsächlich von der Polizei und nicht von der Landes- oder oft auch Bundespolitik vorgegeben wird«. Wolffsohn weiß auch, woher der Amokläufer von Düsseldorf seine geistigen und politischen Vorbilder genommen haben muss. »Der Ursprung der Messer-und-Axt-Methode ist Palästina. Von dort stammt das «Messerstecher»-Muster, das inzwischen weltweit angewandt wird. Das Messerstecher-Muster hat einen richtigen und sehr politischen Namen: Terror.«
Es gibt bereits ein Bild eines der Opfer, das durch die sozialen Netzwerke mäandert. Und immer schwingt bei den Kommentierungen der Vorwurf mit, die Medien, die Behörden, die Politik würden die »Wahrheit« verschweigen, dass es sich auch bei diesem Fall um einen Akt islamistischen Terrorismus gehandelt habe. Michael Wolffsohn hat mit seinem »Bild«-Kommentar diesem Verschwörungsgemurmel der Parallelwelt ein millionenfaches Publikum beschert.
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