Substanzieller Kinderkram
Triumphierend legte der Landtagsabgeordnete Pèter Vida (Freie Wähler) dieser Tage eine Statistik vor, die seiner Meinung nach der geplanten Kreisgebietsreform die Legitimation entzieht. Unter der Überschrift »Babyboom? - Prognosen und Realität der demografischen Entwicklung« präsentierte er die Antwort der rot-roten Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage. Danach werden deutlich mehr Kinder geboren, als von der Regierung erwartet und zur Begründung der Kreisreform vorgebracht wurde. Bei einer Differenz zwischen Annahme und Realität von knapp zehn Prozent könne »kein Gericht« dem Vorhaben noch Berechtigung zuerkennen, meinte Vida.
Die Regierung hatte vor fünf Jahren für 2015 noch 17 541 Geburten angenommen, tatsächlich aber gab es 19 112. Gerade die äußeren Regionen brächten mehr Kinder als erwartet hervor, heißt es nun. Noch krasser ist die Differenz bei den Zuzügen: Während man 2010 noch von 2500 Zugzüglern für 2015 ausgegangen sei, seien es in Wirklichkeit mehr als 37 000. Vida gestand zu, dass davon rund 18 000 Flüchtlinge waren, mit denen man so nicht habe rechnen können. Doch selbst wenn man die abziehe, sei die Differenz zu den Erwartungen der Landesregierung so bedeutend, dass es um nicht weniger als den »Wegfall der Geschäftsgrundlage« der Kreisgebietsreform gehe.
Aus Sicht der Linksfraktion ist absurd, was Vida da von sich gab. In der Prignitz seien zum Beispiel inzwischen fast 40 Prozent der Menschen älter als 65 Jahre, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer Thomas Domres. Wenn es da einige Dutzend Geburten mehr als angenommen gegeben habe, ändere das am Gesamtbild und auch am Reformbedarf überhaupt nichts. Und der Zuzug finde vor allem im Umland von Berlin statt. Die Landesregierung könne sich also in ihren Erwartungen eher bestätigt als widerlegt fühlen. Gerade diese Zweiteilung des Landes habe ja zu den Reformplänen geführt.
Auf dem heutigen Gebiet Brandenburgs, in den Bezirken Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus, wurden 1988 rund 40 000 Kinder geboren. Schon damals war den Behörden klar, dass auch diese vergleichsweise hohe Zahl, im Vergleich zu früheren Jahren ein Rückgang, für die einfache Reproduktion der Bevölkerung nicht ausreichen würde. Aus Domres Sicht ist es daher nicht entscheidend, dass vor zwei Jahren 19 000 statt 17 500 Kinder geboren wurden, an der Gesamttendenz ändere dieser Unterschied nichts.
Brandenburg hatte, wie alle Regionen Ostdeutschlands nach dem Ende der DDR einen Absturz der Geburtenzahlen erlebt, die Geburtenraten sanken auf 30 Prozent. Experten sprechen von einem »demografischen Echo«: Da nach 1990 auch die Zahl der geborenen Mädchen um zwei Drittel zurückging, müsste jede der heute 26-jährigen Frauen fünf Kinder zur Welt bringen, um den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten. Da sie sich aber im Gegenteil dem Geburtenverhalten ihrer Müttergeneration anpassten, gingen Überalterung und Rückgang der Einwohnerzahl eben weiter.
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