Autobahn-Steinewerfer vor Gericht
37-Jähriger mutmaßlicher Täter hätte mit einem Betonbrocken beinahe eine Familie ausgelöscht
Mitten in der Nacht ist eine Familie auf der Autobahn unterwegs. Mutter, Vater und zwei Kinder. Sie sind auf dem Heimweg von einer Hochzeit. Es ist Sonntag, 1.30 Uhr, die Autobahn 7 ist fast leer. Plötzlich ein Stoß, ein Knall, der Wagen überschlägt sich mehrfach. Alle erleiden schwere Verletzungen. Unvermittelt ist für diese Familie eine Horrorvorstellung wahr geworden: Ein Betonbrocken lag auf der Straße, den irgendjemand von einer Brücke geworfen hatte.
Ein halbes Jahr danach muss sich der mutmaßliche Täter nun von Donnerstag an vor dem Landgericht Ellwangen in Baden-Württemberg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 37-Jährigen »einen versuchten Mord in vier tateinheitlichen Fällen« vor. Dabei geht sie »vom Mordmerkmal der Heimtücke« aus, denn dem Angeschuldigten müsse klar gewesen sein, dass kein Mensch, der auf einer Autobahn unterwegs ist, mit einem derartigen Anschlag rechnet.
Sechs Verhandlungstage sind angesetzt, bis der Vorsitzende Richter Gerhard Ilg voraussichtlich kurz vor Ostern das Urteil verkündet. 30 mal 20 mal 20 Zentimeter war der Pflasterstein groß, den der Angeklagte auf die A7 geworfen haben soll. Und zwölf Kilogramm schwer.
Die beiden Kinder im Auto - ein damals sechsjähriges Mädchen und ein vierjähriger Junge - wurden aus dem Wagen geschleudert. Das Mädchen wurde schwer, der Junge etwas leichter verletzt. Der 33 Jahre alte Vater erlitt einen Beckenbruch. Am schlimmsten traf es die 25 Jahre alte Frau: »Die auf dem Beifahrersitz befindliche Mutter der Kinder erlitt eine Hals- und Brustwirbelfraktur sowie eine Schädelbasisfraktur mit einer Hirnblutung«, teilte die Staatsanwaltschaft mit. »Aufgrund einer Verletzung am Bein musste ihr außerdem das Bein unterhalb des Knies amputiert werden.« Vater und Mutter werden im Gerichtssaal sein, die Kinder nicht.
Warum bringt jemand völlig unbekannte Menschen auf so teuflische Weise in tödliche Gefahr? Der Prozess in Ellwangen ist längst nicht der erste, der diesen Fragen nachzugehen hat. Holzklötze, Pfosten, Ziegelsteine, immer wieder auch Wasserbomben und sogar ein Beil wurden schon auf Autobahnen geworfen. Die Motive waren meist erschreckend banal.
Eines der schlimmsten derartigen Verbrechen verübten im Februar 2000 drei junge US-Amerikaner in Darmstadt. Mit Steinwürfen von einer Fußgängerbrücke töteten sie zwei Autofahrerinnen. Motiv: Langeweile und Erlebnishunger. Die zur Tatzeit 14, 17 und 18 Jahre alten Söhne von US-Soldaten erhielten wegen zweifachen Mordes Jugendstrafen von bis zu achteinhalb Jahren Gefängnis.
Manchmal wurden Angeklagte auch für nicht schuldfähig befunden. Wie im Februar 2009 der sogenannte »Elmshorner Beilwerfer«. Der 42-Jährige leide unter paranoider Schizophrenie, hieß es. Er kam in eine Anstalt. Sein Beil hatte die Windschutzscheibe eines Autos durchschlagen, den 65 Jahre alten Fahrer aber knapp verfehlt.
Eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes verhängte 2009 das Landgericht Oldenburg gegen einen Drogensüchtigen, der am Ostersonntag 2008 einen sechs Kilogramm schweren Holzklotz auf die A29 geschleudert hatte. Das Geschoss durchschlug eine Frontscheibe und tötete eine Frau vor den Augen ihrer Kinder. Motiv: Frust darüber, dass kein Heroin zu bekommen war.
Und was hat den Steinerwerfer von der A7 angetrieben, über den jetzt das Landgericht in Ellwangen entscheiden muss? Er gestand zwar, den Betonbrocken auf die Autobahn geworfen zu haben, doch zu einem Motiv machte der Mann keine Angaben. Zu beantworten ist in dem Prozess auch die Frage, ob der 37-Jährige schuldfähig ist.
Zuvor war er bereits wegen Beleidigung und Körperverletzung aufgefallen. Doch weil ihm eine psychische Erkrankung attestiert worden war, blieben ihm Strafen erspart. Im aktuellen Fall war einem psychiatrischen Gutachten zufolge »die Steuerungsfähigkeit des Angeschuldigten bei der Tat erheblich vermindert«. Die Staatsanwaltschaft geht dennoch davon aus, dass er schuldfähig war. Den Beweis dafür und auch für den Vorwurf des gezielten heimtückischen Handelns will sie im Laufe des Prozesses erbringen. dpa/nd
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