Nie wieder dieselbe Person sein

Das Museum Europäischer Kulturen zeigt, wie Geflüchtete ihre Lage künstlerisch aufarbeiten

  • Waldemar Kesler
  • Lesedauer: 4 Min.

»Zukunft lässt sich zwischen der Minimalausstattung von Tisch, Bett, Stuhl und Schrank schwer denken. Träume verklingen ungehört zwischen den Schlafgeräuschen der Mitbewohner.« Dieses Statement der Initiative »Kunstasyl« ist bei der Ausstellung »daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben« Programm. Die von der deutsch-schweizerischen Künstlerin Barbara Caveng gegründete Gruppe arbeitet mit Geflüchteten an Kunstprojekten, um ihnen ein Sprachrohr zu bieten. 2016 nutzten Bewohner des Spandauer Wohnheims für Asylsuchende vier Monate lang die Ausstellungsräume des Museums Europäischer Kulturen als Kunstwerkstatt.

Jedes Ausstellungsstück ist einem fiktiven Wohnheimzimmer zugeordnet: ein Schild führt Bettennummern, die Zimmergröße und die Anzahl der untergebrachten Personen auf. Einfache Bettgestelle ziehen sich als roter Faden durch die Ausstellung. Sie erwecken ein bedrückendes Gefühl von einem Leben im Wartezustand. Manche der Geflüchteten betrachten die Betten als Zufluchtsort, bei einer Installation sind etwa die Gestelle zu einem wohnlichen Zelt aufgetürmt. Andere empfinden sie als weitere Station in einer Abfolge von Lebenshindernissen: Bei der Installation »Grenze« werden die Gestelle zu einem Zaun, an dem Kleidungsstücke aus Lampedusa und Idomeni hängen.

Die Installation »Sichere Drittstaaten« besteht aus einer mit Gafferband zugeklebten Plastiktüte, aus der eine Wolldecke herausquillt. Sie symbolisiert das kurz vor einer Abschiebung flüchtig verstaute Gepäck. Über die dazugehörige Hörstation erzählt jemand, der auf den Bescheid zu seinem Asylantrag wartet: »Immer mit der Angst leben, das ist nicht gut.«

An einem Originalbett aus dem Spandauer Heim hängt ein echter Ablehnungsbescheid zu einem Asylantrag. Das Dokument eröffnet den Besuchern einen Blick in die Abschiebepraxis. Eine Antragstellerin hatte in ihrer Anhörung berichtet, dass ihr untergetauchter Mann in Kosovo Schulden beim organisierten Verbrechen habe und sie dafür haften müsse. Im Ablehnungsschreiben wird nicht angezweifelt, dass sie die Wahrheit sagt. Darin wird eingeräumt, dass in Kosovo weiterhin »Mängel bei Justiz und Polizei« vorhanden seien. Dennoch wurde der Antrag abgelehnt, weil keine Verfolgung vorläge und hinreichender staatlicher Schutz vorhanden sei, »einen lückenlosen Schutz vor möglicher Gewaltanwendung durch Dritte vermag aber letztendlich kein Staatswesen zu gewährleisten«. Wenn man diesen Satz liest, wird der auf einer abgenutzten Matratze liegende Hefter mit einer bürokratischen Akte zum nackten Ausdruck für die staatliche Indifferenz.

Zwei nebeneinander stehende Betten repräsentieren, dass Zuwanderung durch Flucht kein neues Phänomen ist. Diese Einbettung bringt eine kasachische Spätaussiedlerin und eine schwedische Arbeiterin zusammen, die wie 1,3 Millionen andere Schweden zwischen 1840 und 1930 nach Amerika auswanderte, um mit dem dort erworbenen Geld ihre Familie zu unterstützen. Im Nachlass beider Frauen fanden sich Gegenstände, die für sie in der Fremde unentbehrliche Memorabilien waren: Bettwäsche, Nähzeug, Haarklammern oder schwedische Seife. Gerade die kleinen Dinge sind mit dem früheren Alltagsleben verbunden.

Umso schmerzhafter ist es, an anderer Stelle zu sehen, dass eine Heimbewohnerin bei ihrer Abschiebung ihre »Lieblingsstücke provisorischer Wohnlichkeit« zurückließ. Diese Geste scheint zu zeigen, dass sie die Hoffnung aufgegeben hat, sich irgendwo wieder einrichten zu können. Die über die Balkanroute geflüchtete irakische Jesidin Ina Sado bietet ein Gegenbild dazu. Sie studiert inzwischen in Köln Biologie, sagt aber trotzdem: »Zuhause, wenn ich dieses Wort sage oder höre, tut mir mein Herz weh. Ich werde nie wieder dieselbe Person sein, die ich einmal war.«

Vor dem Museum haben Asylsuchende im »Garten der Träume« Pflanzensaat in Koffer und Reisetaschen verstreut und dort provisorisch angelegt. An dem Gepäck hängen Zettel, auf denen sie ihre Träume geschrieben haben. Ob sie sich den Weltfrieden oder die Rückkehr in die Heimat wünschen, der Saat ihrer Träume fehlt ein fester Nährboden.

»daHEIM« ist ein Beispiel für gelungene partizipative Kunst. Im Museum europäischer Kulturen bietet sich Geflüchteten die Gelegenheit, am öffentlichen Leben teilzunehmen, aus dem sie sonst ausgeschlossen sind. Auch wenn der Anspruch, »Einsichten« in das Leben Geflüchteter zu geben, unnötig überspannt ist und gar nicht eingelöst werden kann, vermittelt die Ausstellung eine beängstigende Vorstellung von der Wartezimmerexistenz der Asylsuchenden.

»daHEIM: Einsichten in flüchtige Leben«, bis zum 2. Juli im Museum Europäischer Kulturen, Arnimallee 25, Dahlem

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