Die Niederlande haben gewählt: Europa zeigt sich erleichtert

Rechtsliberale Partei des Ministerpräsidenten gewinnt trotz Verlusten Parlamentswahl / Rechtspopulist Wilders schwächer als erwartet / GroenLinks kann Ergebnis vervierfachen / Sozialdemokraten stürzen ab

  • Lesedauer: 4 Min.

Den Haag. Die Niederlande bleiben auf Pro-Europa-Kurs: Die rechtsliberale Partei von Ministerpräsident Mark Rutte hat bei der Parlamentswahl den rechtspopulistischen Herausforderer Geert Wilders klar abgewehrt. Nach Hochrechnungen vom Donnerstagmorgen deutete alles auf eine neue Regierung unter Ruttes Führung hin. Die Koalitionsbildung dürfte aber wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft kompliziert werden. Politiker in Deutschland und in anderen europäischen Ländern zeigten sich erleichtert über den Wahlausgang.

Auf der Grundlage von 93 Prozent der Stimmen ergab sich folgendes Bild: Die rechtsliberale Partei von Rutte liegt mit 21,2 Prozent klar vorn, obwohl sie im Vergleich zur vorigen Wahl 2012 deutlich verlor. Danach folgt die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders mit 13,1 Prozent. Auf dem dritten Platz liegen mit 12,6 Prozent die Christdemokraten. Knapp dahinter kommen die linksliberalen D66 mit 12,1 Prozent sowie die Sozialisten (SP) mit 9,1 Prozent und GroenLinks mit 9,0 Prozent. Die ChristenUnion (CU) lag zuletzt bei 3,4 Prozent.

Parteien im Überblick

VVD: Die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie von Ministerpräsident Mark Rutte ist auf den Kurs »Rechtspopulismus light« umgeschwenkt. Bestes Beispiel: Ruttes Aufforderung an Migranten: »Benehmt euch normal oder geht.«

PvdA: Ruttes Koalitionspartner, die sozialdemokratische Partei der Arbeit, trug den neoliberalen Sparkurs der Regierung Ruttes mit und muss mit dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte rechnen.

PVV: Die Partei für die Freiheit hat nur ein Parteimitglied: Geert Wilders. Der Islamfeind, ein ehemaliger Rechtsliberaler, bestimmt die öffentliche Debatte via Twitter.

SP: Die Sozialistische Partei könnte ihr bisheriges Ergebnis wiederholen. Die Partei mobilisierte letztes Jahr gegen den EU-Assoziierungsvertrag mit der Ukraine.

CDA: Die Christdemokraten haben wie die Rechtsliberalen die Themen Islam und niederländische Identität aufgegriffen. Sie können mit leichten Zugewinnen rechnen.

D66: Die linksliberalen Demokraten 66 gelten als Partei der Mitte per par excellence. Sie waren mehrmals an früheren Regierungen beteiligt; ihr werden Zugewinne vorhergesagt.

CU: Eine christlich-demokratische politische Partei mit orthodox-calvinistischer Ausrichtung.

GroenLinks (GL): Die aus kommunistisch-sozialistischen und einer evangelischen Partei hervorgegangene grüne Partei könnte für eine Sensation sorgen: Ihr junger Spitzenkandidaten Jesse Klaver hat für einen Höhenflug gesorgt.

SGP: eine kleine reformierte politische Partei. Sie ist die älteste noch aktive Partei der Niederlande.

PvdD: Die Ein-Punkt-Partei setzt sich für die Verankerung von Tierrechten in der niederländischen Verfassung ein.

50+: Der Seniorenpartei werden deutliche Zugewinne vorausgesagt. nd

In Mandaten ergeben sich 33 Sitze für Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD). Wilders' Partei für die Freiheit (PVV) kommt auf 20 der 150 Parlamentssitze. Die Christdemokraten und die Democraten 66 holen jeweils 19. Das Endergebnis der Wahl verzögerte sich noch. Die Auszählung der Reststimmen könne sich möglicherweise bis Freitag hinziehen, berichtete die Nachrichtenagentur ANP.

»Wir gehören zu den Gewinnern der Wahl, aber ich wäre natürlich gern die größte Partei geworden«, gab Wilders in Den Haag zu. »Das sind nicht die 30 Sitze, auf die ich gehofft hatte.« Er schwor aber auch: »Herr Rutte ist mich nicht los!« Wenn keiner mit ihm regieren wolle, werde er eben wieder Opposition machen und bei der nächsten Wahl einen neuen Anlauf nehmen. Rutte sagte: »Das war heute ein Fest für die Demokratie.« Der Wähler habe Nein gesagt »zu der falschen Art von Populismus«.

Die Abstimmung war der Auftakt des europäischen Superwahljahrs 2017 - ein großer Erfolg von Wilders wäre als Rückschlag für die Europäische Union gewertet worden. Weitere Etappen sind die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im April/Mai und die Bundestagswahl im September. In beiden Ländern gibt es ebenfalls scharfe rechtspopulistische Attacken.

Links-Groen ist der eigentiche Wahlgewinner

Eigentlicher Wahlgewinner ist die grün-linke Partei Groen-Links, die sich deutlich verbessern konnte und in Amsterdam sogar siegte. Die Partei mit ihrem beliebten Spitzenkandidaten Jesse Klaver holte in der niederländischen Hauptstadt demnach gut 19 Prozent und löste damit die niederländischen Sozialdemokraten ab, für die Amsterdam immer eine Hochburg war. Insgesamt konnte Groen-Links ihr Ergebnis auf 16 Sitze vervierfachen.

In der zweitgrößten Stadt Rotterdam wurde Ruttes VVD stärkste Kraft. Der seit 2010 amtierende Premier Rutte kann seine bisherige Koalition mit den Sozialdemokraten allerdings nicht fortsetzen. Der Bündnispartner wurde massiv abgestraft und erlitt eine in der niederländischen Parlamentsgeschichte beispiellose Niederlage.

Die Beteiligung der Bürger lag nach einem zugespitzten Wahlkampf bei 81 Prozent - deutlich höher als 2012. Damals beteiligten sich knapp 75 Prozent der etwa 13 Millionen Stimmberechtigten.

Wilders will die Niederlande aus der EU führen. Er lag viele Monate in den Umfragen deutlich vorn. Der 53-Jährige bediente Ängste vor einer Zukunft in Europa, dem Verlust der nationalen Identität und dem Islam. Alle etablierten Parteien hatten eine Zusammenarbeit mit ihm allerdings ausgeschlossen.

Da es in den Niederlanden keine Sperrklausel wie die deutsche Fünf-Prozent-Hürde gibt, reicht ein kleiner Anteil der Stimmen aus, um einen Platz in der »Tweede Kamer« (Zweiten Kammer) zu erobern. Die Regierungsbildung könnte sich nun entsprechend schwierig gestalten. Notwendig für die Regierungsbildung sind 76 der 150 Parlamentssitze.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beglückwünschte Rutte telefonisch, wie Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter schrieb. Er zitierte Merkel mit den Worten: »Ich freue mich auf weiter gute Zusammenarbeit als Freunde, Nachbarn, Europäer.« Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) wertete den absehbaren Wahlausgang als Erfolg für Europa. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte, den ersten Prognosen zufolge habe die überwältigende Mehrheit der Niederländer der »Hetze von Geert Wilders und seiner unsäglichen Haltung gegenüber ganzen Bevölkerungsgruppen« eine klare Absage erteilt.

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) gratulierte geradezu euphorisch: »Niederlande, oh Niederlande, du bist ein Champion! Wir lieben Oranje für sein Handeln und sein Tun! Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Ergebnis!«, schrieb er auf Twitter.

Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker freute sich: »Ein Votum für Europa, ein Votum gegen Extremisten«, war sein Kommentar. Die EU ist in mehreren Ländern in dramatischer Weise mit europafeindlichen Kräften konfrontiert. Der Brexit-Beschluss der britischen Wähler hatte im vergangenen Jahr zu einer großen Krise geführt. Agenturen/nd

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.