Mit eisernem Besen durch die Kasernen

Der türkische Staatspräsident Erdogan sieht sich in den Streitkräften noch immer von »Terroristen« umstellt

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 3 Min.

Die türkischen Streitkräfte sind in viel größerem Maße von Anhängern des Sektenführers Fethullah Gülen unterwandert als bisher angenommen. Davon, so heißt es, gehe die Staatsanwaltschaft in Ankara aus. Berichtet wird dies von der Istanbuler Tageszeitung »Cumhuriyet«. Demnach wür-de die Zahl der Gülen-Anhänger in den Streitkräften mindestens 90 000 betragen. Der 75-jährige Gülen lebt seit 1999 im US-Exil. Langezeit Förderer von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kam es 2011 zum Bruch zwischen beiden. Erdogan macht Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich und bezeichnet Gülen-Aktivisten seitdem als Terrorristen. In der Türkei kursiert dafür der staatsoffizielle Begriff FETÖ. Er steht für Fethullah-Gülen-Terrororganisation.

Die Staatsanwaltschaft, so heißt es in der aktuellen Angelegenheit weiter, gehe davon aus, dass die Kommandantur der Luftstreitkräfte zu nahezu 100 Prozent in der Hand von FETÖ sei. Nach dem 15. Juli waren bereits 23 000 Angestellte der Streitkräfte entlassen worden. Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob diese bei den 90 000 mitgezählt sind. Es wird auch nur eine vage Andeutung dazu gemacht, wie so viele FETÖ-Anhänger identifiziert werden konnten. Angeblich handelte es sich um »Informationen, die das Büro der Staatsanwaltschaft für die Untersuchung von Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung« erreicht haben. Was immer das heißen mag.

Erklärt wird die hohe Zahl von FETÖ-Anhängern mit der Unterwanderung der Militärakademien durch Gülen-Leute. Trotzdem ist die Zahl wenig glaubwürdig. Bis zum Machtantritt der bis heute regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung im November 2002 wurde die Armee mehrfach von Islamisten und auch von Gülen-Leuten gesäubert. Eine völlig unbemerkte Unterwanderung der Akademien war so kaum von heute auf morgen machbar.

Außerdem ist zu fragen, wie es sein konnte, dass der angeblich von Gülen inszenierte Putsch innerhalb weniger Stunden zusammenbrach, wenn er doch eine so große Anhängerschaft unter den Offizieren besaß. Nach Ausgliederung der 200 000 Mann starken Gendarmerie und des Küstenschutzes hatten die türkischen Streitkräfte im Januar einen Personalstand von 401 000, inklusive ziviler Angestellter. Ein großer Teil davon sind Wehrpflichtige.

Ein weiterer Grund, den Vorwürfen zu misstrauen, ist, dass sie selbst in der Türkei niemand so richtig zu beeindrucken scheint. Bisher gab es keine Rücktritte in der Generalität und auch keine Rücktrittsforderungen. Vermutete man tatsächlich so viele Anhänger einer Terrororganisation in den Streitkräften, so wäre es doch logisch, sie so rasch wie möglich von ihren Posten zu entfernen. Es sieht deshalb wohl eher nach einer weiteren, noch umfangreicheren Säuberungsaktion im Militär aus. Damit werden Tausende Posten neu zu besetzen sein. Wird aus der bis dato als Hüterin des Laizismus bekannten Armee nun eine islamisch geprägte?

Eine Schlüsselrolle könnte die von dem pensionierten Brigadegeneral Adnan Tanriverdi 2012 gegründete Firma SADAT spielen. SADAT bietet international militärische Dienstleistungen in Form von Beratung und Ausbildung für das Militär und andere Sicherheitskräfte an. Im Herbst ernannte Erdogan den 72-jährigen Tanriverdi zu seinem Chefberater.

Auch wenn der Firmenname mit Großbuchstaben wie bei einem Akronym geschrieben wird, so ist die Anlehnung an das arabische Wort »Sayyed« - so werden auch Nachkommen des Propheten genannt - doch jedem im islamischen Kulturkreis offensichtlich.

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