Begehren ist alles
Im Kino: »Mit Siebzehn«
Der Film ist noch keine fünf Minuten alt, da lässt sich schon erahnen, worauf das alles hinauslaufen wird: Der 17-jährige Thomas (Corentin Fila) lauert nach dem Unterrichtsende im Schulhof mit aggressivem Blick und entschlossenen Schrittes seinem gleichaltrigen Klassenkameraden Damien (Kacey Mottet Klein) auf, fixiert ihn, holt ihn ein. An ihm vorbeigehend, schubst er Damien in den Schnee. Nicht brutal, sondern beiläufig, ja fast zärtlich. Anschließend liefern sich die beiden ein Prügelscharmützel nach dem anderen. Der Grund bleibt im Verborgenen, derweil an der Oberfläche immer deutlicher wird, dass sich diese beiden gegensätzlichen Jungs (Damien ist Arztsohn, Thomas ein Bauernjunge) eigentlich nur näher kommen wollen.
Der französische Regisseur André Téchiné lässt sich wohltuend viel Zeit beim Erzählen dieser sich anbahnenden Romanze. »Mit Siebzehn« hätte auch eine dramatische Auseinandersetzung mit dem Problem pubertierender Menschen sein können, sich in einer homophoben und auf Heteronormativität festgelegten westlichen Welt selbst homoerotische Gefühle einzugestehen. Vordergründig ist dies auch das entscheidende Thema des Films. Im Kern aber ist es zuallererst eine behutsam inszenierte Liebesgeschichte zwischen zwei Jugendlichen inmitten der beeindruckenden Berglandschaft der Pyrenäen.
Dabei muss der Zuschauer in fast jeder Szene die grünohrigen Perspektiven der Hauptfiguren einnehmen. Vom ersten Bild an schiebt sich die Kamera geradezu in die Körper hinein, arbeitet viel mit verwackelten Nahaufnahmen. Sie will körperlich erlebbar machen, was Damien und Thomas fühlen, welche irrationalen Gedanken ihnen bisweilen im Kopf umherschwirren, wie sie kraftstrotzend nach dem eigenen Weg in die Süße des Daseins suchen.
Damien malträtiert regelmäßig einen Sandsack, um sich seiner Männlichkeit zu vergewissern und dem abgöttisch verehrten Vater nachzueifern, der als Hubschrauberkampfpilot in Kriegsgebieten arbeitet und bei den spärlichen Heimatbesuchen so jovial wie selbstsicher auftritt. Dabei haut er solche Sätze heraus: »Ich bin zum Militär gegangen, weil ich Abenteuer erleben wollte.« Dass ihn der ebenso zupackend und selbstbewusst daherkommende Thomas mit seinem kuhstallgestählten Leib fasziniert, verwundert da nicht mehr. Als Thomas’ schulische Leistungen nachlassen, ist der Grund schnell gefunden: sein täglich dreistündiger Weg vom arbeitsreichen Bergbauernhof bis in die Dorfschule und zurück. Damiens Mutter nimmt ihn zeitweise bei sich auf. Jetzt begegnen sich die beiden Jungs auf engstem Raum - und die Brutalität geht nur noch von Thomas aus, der sich seiner eigenen Verliebtheit zu erwehren versucht und Damien bei jedem Annäherungsversuch harte Schläge verpasst, die aufgrund der intensiven Kameraführung beim Betrachter die Spiegelneuronen feuern lassen. Téchiné zeigt exemplarisch, dass das Begehren die schönste und erschütterndste aller menschlichen Eigenschaften ist. Und darin liegt die größte Stärke dieses wunderschönen Films.
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