Für den Handball ließ er sich die Knochen brechen
Auch wenn Christian Prokop der jüngste Bundestrainer der Handballgeschichte ist, bewegt er sich schon lange auf Spitzenniveau
In einem belebten Café am Marktplatz in Leipzig hat Christian Prokop ein Heimspiel. Seit Jahren lebt er in der Stadt, geboren und aufgewachsen ist er im nur etwa 70 Kilometer entfernten Köthen. Vielleicht sitzt der neue Handball-Bundestrainer deshalb entspannt am Tisch. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er einfach neugierig ist, was auf ihn zukommt - im folgenden Gespräch und in den kommenden Jahren.
Romeo und Julia, das bekannteste Liebespaar der Literaturgeschichte, waren bereit, für ihre Liebe zueinander in den Tod zu gehen. Der Trainer der deutschen Handballer würde für seinen Sport nicht sterben, aber er hat sich mal die Knochen dafür brechen lassen - der Liebe wegen.
Ganz so martialisch, wie es zunächst klingt, hat sich die Sache 2002 nicht abgespielt, aber sie war doch ungewöhnlich. Wegen eines irreparablen Knorpelschadens im linken Knie ließ sich Prokop bei einer Operation den Oberschenkelknochen brechen, um durch eine veränderte Beinstellung die Last auf dem lädierten Kniegelenk zu verringern und anschließend weiter Profihandball spielen zu können. Dafür musste er beim Wurf fortan auch noch mit dem gesunden rechten Bein abspringen, weshalb er sich zum Linkshänder umtrainierte. »Ja, ich liebe den Handball«, begründet Prokop, warum er damals so eisern an der Umstellung arbeitete. Zurück auf die ganz große Bühne schaffte es Prokop nach der intensiven Reha als Spieler nicht mehr. Der einstige B-Nationalspieler ist trotzdem froh, alles dafür getan zu haben.
»Der Handball schenkt mir immer wieder aufs Neue Gefühle und Emotionen, die andere Menschen vielleicht nur ein paar Mal im Leben erleben«, formuliert Prokop seine ganz persönliche Liebeserklärung. Er meint damit Momente wie einen Siegtreffer in allerletzter Sekunde. Der 38-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder - er kann also durchaus solche Vergleiche ziehen. Der 38-Jährige liebt seine Familie, das betont er - und er liebt seinen Beruf, dem er nach dem erzwungenen Laufbahnende als Spieler treu geblieben ist.
Wenn man die Episode mit der freiwilligen Operation, den Knochenbrüchen und der Umstellung vom Rechts- zum Linkshänder kennt, sind die Beschreibungen ehemaliger Mitstreiter über den neuen Bundestrainer leicht nachvollziehbar. Immer wieder fallen die Begriffe »Hingabe«, »Leidenschaft«, »Akribie« oder »positive Verrücktheit«, um den Mann zu beschreiben, der vor wenigen Tagen zum jüngsten Cheftrainer der Männermannschaft in der Geschichte des Deutschen Handballbundes (DHB) wurde. Er ist jung an Jahren, aber nicht unerfahren als »Entwickler«. Seit 2004 arbeitet Prokop als Trainer und hat dabei in kleinen Hallen begonnen, seine Idee vom Spiel auf eine Mannschaft zu übertragen. Prokop trainierte zunächst Eintracht Hildesheim, den MTV Braunschweig und den TSV Hannover-Anderten. Dort also, wo man eher eine Kiste Bier am Ende des Trainings in der Kabine erwartet als eine Videoanalyse. Später folgten die Stationen SV Post Schwerin, SC Magdeburg II und TuSEM Essen, ehe Prokop ab 2013 mit dem SC DHfK Leipzig ins Scheinwerferlicht drängte.
Spätestens seit dem erstaunlichen Aufschwung der Leipziger, die schon im zweiten Jahr in der Bundesliga etabliert zu sein scheinen, zählt Prokop zu dem größten Trainertalenten in Deutschland. So überraschte es keinen Experten, dass ihn der Verband als Nachfolger für Dagur Sigurdsson verpflichten wollte. Der DHB stattete ihn mit einem Vertrag bis 2022 aus und zahlt den Leipzigern etwa eine halbe Million Euro Ablöse für den Wunschtrainer. Im Handball ist das eine immense Summe. Prokop soll sie indirekt zurückzahlen, in dem er die Nationalmannschaft noch etwas besser macht, damit die hohen Ziele bei der Heim-WM 2019 und den Olympischen Spielen ein Jahr später keine Träumereien bleiben.
Prokop sagt, er verspüre Glück, weil er die Möglichkeit bekommen hat, mit den besten Handballern des Landes arbeiten zu können. Das sei ein Privileg. Nun werde es aber darauf ankommen, sich vom Zufall zu emanzipieren. »Es ist mein Ziel, nicht abhängig vom Glück zu sein«, erklärt Prokop. In Leipzig hat er bewiesen, dass er sich fachlich und taktisch auf Spitzenniveau bewegt. Mit der DHB-Auswahl möchte er weiterhin schwer ausrechenbaren Angriffshandball spielen lassen und in der Abwehr noch etwas variabler werden. Der Spielstil von Sigurdsson solle nicht umgewälzt, sondern weiterentwickelt werden.
Erfolg ist im Sport - und gerade auf dem absoluten Topniveau - nur bedingt planbar. Das weiß Prokop und das wissen auch die Verantwortlichen beim DHB. Die Voraussetzungen stimmen aber, dass der zuletzt überaus erfolgreiche Weg mit dem neuen Bundestrainer nicht zu Ende ist.
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