Vertrösten Hinhalten Weghören = vhw
Hamburg: Mieter proben den Aufstand gegen ihre Genossenschaft
Eine Schlagzeile in der Boulevardzeitung
Mit Erfolg, wie Rudolf Mohr, der seit 1988 mit seiner Familie am Ellenbogen wohnt, erzählt: »Erst nachdem die Hamburger Morgenpost die Missstände in unserem Quartier aufgedeckt hat, wurden die Balkone endlich gemacht.« Unter der Schlagzeile »Hilfe, unser Balkon stürzt ab« berichtete das Boulevardblatt im Mai 2005 über die Eimsbütteler vhw-Mieter, die ihre baufälligen Balkone seit mehreren Jahren wegen akuter Einsturzgefahr nicht mehr nutzen konnten.
»Auf Nachfragen gab es nur ausweichende Antworten«, ärgert sich Rudolf Mohr über die mangelhafte Kommunikationsbereitschaft seiner Genossenschaft. Erst im Januar 2007 redet die vhw Klartext. Über das von ihr beauftragte Rechtsanwaltbüro lässt sie ausrichten, dass sie bereits 2003 den Planungen zur Instandhaltung und Modernisierung der Wohnungen »Priorität eingeräumt« habe, mithin nicht erst nach dem Zeitungsartikel aktiv geworden sei.
»Unmenschlichkeit« attestierten die Kritiker den vhw-Chefs im Umgang mit den (Leidens)-Genossen am Wilhelmsburger Schlöperstieg. Dort wurde ein »funktionierendes Quartier einfach platt gemacht, weil jahrelang an den Gebäuden nichts getan wurde«, sagt Mietrechtsexperte Wilfried Lehmpfuhl .
Was die vhw-Mitglieder besonders entsetzt: Die 80 Jahre alten Häuser am Schlöperstieg 1-9/Kurdamm 20 wurden ohne Wissen der Nutzer vom einem Immobilienmakler für 1,8 Millionen Euro zum Kauf angeboten. Als flankierende Maßnahme setzte die Genossenschaft die Bewohner derart unter Druck, dass die Lokalpresse titelte: »Vermieter-Terror in Wilhelmsburg« - ein Armutszeugnis für den Umgang der vhw mit ihren Genossen.
Einem fielen bei dem Abriss auf Raten große Putzbrocken aufs Bett, nachdem die Abrissbirne an die Schlafzimmerdecke geklopft hatte. »Presslufthämmer dröhnten durchs Haus, das Geschirr tanzte in den Schränken«, schilderte ein Rentner-Ehepaar aus der Nachbarschaft die Vergrämungsmethoden mit schwerem Gerät.
Panik machte sich breit in der Wohnanlage, in der heute nur noch eine standhafte Mieterin ausharrt. Die verunglückte Deckenöffnung lässt die vhw heute von ihren Rechtsanwälten als »bedauerlichen Arbeitsunfall« im Rahmen einer »gutachterlichen Untersuchung der angegriffenen Bausubstanz« schön reden. »Wir hätten über vier Millionen Euro in diesen Bestand mit insgesamt 50 Wohnungen investieren müssen, um ihn auf ein technisch vernünftiges und zukunftsträchtiges Niveau zu bringen. Dieses war und ist gegenüber der Gesamt-Genossenschaft nicht vertretbar«, begründete Aufsichtsrat Jens Cappel das Vorgehen der vhw und ließ sich über die »menschlich und persönlich schwierigen Abstimmungen mit den betroffenen Mitgliedern« aus.
Genossen lachen über ihren »Aufsichtsrat«
Laut Satzung hat der Aufsichtsrat die Aufgabe, »den Vorstand in seiner Geschäftsführung zu fördern, zu beraten und zu überwachen« und die Genossenschaft, also die Nutzer der Wohnungen, gegenüber den Vorstandsmitgliedern zu vertreten. Der Aufsichtsrat als Anwalt des einfachen Mitglieds? Darüber können die Genossen nur lachen. Die Mieter-Initiative Gewoini- Schlump hatte den Aufsichtsrat zu einer Informationsveranstaltung geladen, bei der es zuvorderst um die zum Teil exorbitant gestiegenen Hauswartskosten ging. Doch Jens Cappel sagte die angeblich »von einigen Mitgliedern aufgrund augenscheinlich persönlicher Interessen veranlasste Veranstaltung« ab. Man möge sich »bei den zu behandelnden Themen« doch bitte an den Vorstand wenden.
Kein Wunder, dass die Stimmung unter den Genossen des »Chaos-Ladens« von der Größe einer Kleinstadt gereizt ist - 850 vhw-Mitarbeiter betreuen 16 800 Mitglieder in 6900 Wohnungen und acht Seniorenwohnanlagen. Zuletzt brachten die um bis zu 41 Prozent gestiegenen Hauswartskosten die Mieter auf die Palme. Helga Burmeister aus dem Pergamentweg rieb sich verwundert die Augen, als sie die Abrechnung 2005 mit der von 2004 verglich - kein Einzelfall! Der Posten Gartenpflege war um 27 Prozent gestiegen, Versicherung um 49 Prozent, Hausreinigung um 108 Prozent und Hausmeister um 20 Prozent.
Weil die Mieter zu lange auf eine »vernünftige Erklärung«, so Mieterin Karin Klotzsche, warten mussten, machten sie Nägel mit Köpfen und gründeten die Gewoini, die sich jetzt mit neu entstehenden Inis in den einzelnen Quartieren unter dem Namen »Initiative für genossenschaftliches Wohnen in der vhw« vernetzen will. Endlich soll Schluss sein mit der von den Genossen scharf kritisierten vhw-Dreieinigkeit »Vertrösten - Hinhalten - Weghören«.
Auf der von mehr als 100 Interessenten gut besuchten Anschubveranstaltung in den Räumen des Mietervereins machten sie ihrem Ärger Luft. Kritisiert wurde unter anderem die undurchschaubare Rolle, die die 1970 gegründete vhw-Tochter nordbau spielt. Seitdem die Firma ab Januar 2005 im Bereich Hausmeisterdienstleistungen tätig ist, stiegen die Betriebskosten gewaltig. Nicht nur Karin Klotzsche vermutet, dass die vormals defizitäre Tochter »auf unsere Kosten« Gewinne schreibt. Der Vorstand begründete »die Maßnahme« Mitte November damit, »dass es nur so möglich ist, die Hausmeister außerhalb des relativ starren Tarifwerks der Wohnungswirtschaft flexibler und effektiver einzusetzen« und »längere Arbeitszeiten als sonst in der Wohnungswirtschaft üblich« zu ermöglichen.
Experte spricht von faulem Trick
Die Übertragung des Hausmeisterpostens auf die Nordbau bezeichnete Mietrechtsexperte Lehmpfuhl als »faulen Trick der Genossenschaft«, um die Erhöhung der Betriebskosten zu rechtfertigen. »Die Genossenschaft darf nicht unter Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot Gewinne machen.«
Lehmpfuhl empfiehlt den Genossenschaftsmitgliedern, die Mehrkosten nicht zu bezahlen, wenn sie nicht einverstanden sind, und das Vorgehen mit dem Mieterverein abzustimmen. Und was sagt die Genossenschaft? Die lässt erneut ihren Aufsichtsrat Cappel antworten: »Die für das Eimsbütteler Quartier von der "Gewoini" genannte 41-prozentige Erhöhung der Hauswartkosten ist grundsätzlich sachlich richtig, im Wesentlichen aber durch den Einsatz eines weiteren Mitarbeiters in der dortigen Hausmeisterei begründet. Diese Neueinstellung erfolgte als Reaktion auf die gesteigerte Nachfrage der Bewohner. Dass es dagegen in anderen Quartieren gleichzeitig zu Hauswartskosten-Senkungen von bis zu 33 Prozent gekommen ist, muss an dieser Stelle aber auch erwähnt werden.«
Immer wieder beklagt wurde auch der rüde Umgangston der Verwaltung und des Vorstands gegenüber den Mietern. Mehrere Mieter sagten, sie fühlen sich nach »Gutsherrenart« behandelt oder wie »Bittsteller«, obwohl sie keine Kunden oder klassischen Mieter, sondern »Nutzer« seien. Auch das Rentnerpaar Christel und Gerhard Straub aus dem Ellenbogen ärgert sich über den »abfälligen Tonfall«, in dem ihnen vhw-Mitarbeiter begegnet seien. »Manchmal hat man das Gefühl, erst in die Knie gehen zu müssen, bevor man sein Anliegen vortragen darf«, sagt Gerhard Straub. »Ich fühle mich oft wie ein Untertan«, pflichtet Nachbar Rudolf Mohr bei.
Doch die Untertanen proben jetzt den Aufstand. Die Strategie heißt: Stärkung der Mitgliedervertreter, Bildung von Hausgemeinschaften, regelmäßige Information im Internet und verstärkte Kooperation mit dem Mieterverein.
Der will helfen, verspricht Wilfried Lehmpfuhl, »eine vernünftige Mietervertretung hinzubekommen, was ja eigentlich Aufgabe der Genossenschaft ist«. Der Mieterverein werde künftig die Vertreter in den Versammlungen unterstützen, vor Ort Hausgemeinschaften auf die Beine stellen und Schulungen »wie bei Betriebsräten« durchführen. »Wir wollen die Mieter dadurch in die Lage versetzen, mit den Gremien der Genossenschaft auf Augenhöhe zu verhandeln«, erklärt Lehmpfuhl. »Ich hoffe, dass die vhw die engagierte Mitarbeit ihrer Genossen dann zu schätzen lernt.«
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