Der Herr der Ampeln
Thüringen will Kauf neuer Anlagen fördern und damit für sauberere Luft in Städten sorgen
Frank Helbing kann es in seinem Job niemandem recht machen. Der Sachbearbeiter im Verkehrsamt von Erfurt ist mit dafür verantwortlich, ob Autofahrer auf einer grünen Welle durch die Landeshauptstadt rollen können oder vor Ampeln stoppen müssen. »Wer glaubt, wir können zaubern, liegt falsch.« Helbing steckt dabei in einem Dilemma: Wer hat an Kreuzungen Vorrang? Autos, damit sie weniger Kohlendioxid ausstoßen, oder Fußgänger - oder ganz und gar Busse und Straßenbahnen? Um diese Frage kümmert sich mittlerweile auch die Politik. Das Umweltministerium sieht in intelligent geschalteten Ampeln eine Chance für weniger Schadstoffe in der Luft.
Helbings Arbeitsplatz besteht aus vielen Monitoren. An der Wand hängt eine große Karte mit den Straßen Erfurts. Darauf sind alle Ampeln eingezeichnet. 255 Stück sind es. »1989 waren es noch 78«, sagt der Abteilungsleiter Verkehr, Frank Rupprecht. In den 1990er Jahren seien jedes Jahr 20 neue Ampeln hinzugekommen. Viele sind nach Rupprechts Angaben mittlerweile in die Jahre gekommen. »Jede fünfte ist älter als 20 Jahre.« Auf mehr als 20 Millionen Euro werden die Kosten geschätzt, um alte gegen neue Ampeln auszutauschen.
Das Umweltministerium will bei solchen Investitionen nun helfen. Sechs Millionen Euro aus EU-Mitteln stünden für ein entsprechendes Förderprogramm bereit, erklärt ein Sprecher. Dieses Geld soll nach seinen Angaben in »intelligente Ampelsteuerung« fließen, damit Fahrzeuge weniger schädliche Gase in die Atmosphäre pusten und die Luft in den Städten besser wird. Die Städte Jena, Weimar, Suhl, Erfurt und Gera hätten bereits Interesse gezeigt, so das Ministerium. In Erfurt gab es dazu bereits zwei Pilotprojekte.
»Der Fokus liegt auf der Luftqualität, damit die EU-weit gültigen Grenzwerte eingehalten werden«, erklärt Uwe Plank-Wiedenbeck von der Bauhaus-Universität Weimar. Er hat eine Professur für Verkehrssystemplanung und das Pilotprojekt begleitet. Nach seinen Angaben tragen ungünstige Wetterlagen dazu bei, dass Grenzwerte überschritten werden. In solchen Fällen könnte der Verkehr zeitlich und räumlich verlagert werden. »Es geht nicht darum, dass der Verkehr um Messstellen herumgeführt wird«, stellt Plank-Wiedenbeck klar.
Nach seiner Vorstellung könnten Autos am Stadtrand von Erfurt an einer Ampel gestoppt werden, damit nicht zu viele Wagen auf einmal ins Zentrum fahren. Pförtnern nennt Plank-Wiedenbeck das Prinzip. Ein Verkehrschaos befürchtet er dadurch nicht: »Es sind nicht so viele Autos unterwegs, dass sich lange Staus bilden könnten.« Eine solche Regelung solle auch nur an Tagen mit hohen Schadstoffwerten gelten. »Es geht darum, dass zu bestimmten Zeiten der Verkehr reduziert wird - um 10 bis 20 Prozent.« Autofahrer könnten ihre Wagen auf Parkplätzen abstellen und in Busse und Straßenbahnen einsteigen.
Auf einen solchen Effekt hofft auch Frank Helbing. »Wenn Busse und Straßenbahnen an den Kreuzungen Vorrang haben, sehen Autofahrer, dass es im öffentlichen Nahverkehr schneller geht.« In Erfurt ist es mitunter so, dass Ampeln schnell von Grün auf Rot umspringen, wenn eine Straßenbahn oder ein Linienbus naht. Dafür sorgen Sensoren an den Ampelmasten. Wiederum andere messen, wie viele Autos und Lastwagen in der Landeshauptstadt unterwegs sind, um den Verkehr an den Kreuzungen entsprechend zu regulieren.
An der Leipziger Straße - eine von vielen Pendlern auf dem Weg zur Arbeit in Erfurt genutzte Strecke - gebe es ein Früh- und Nachmittagsprogramm, erklärte Rupprecht. »Die Ampeln sind so programmiert, dass der Verkehr möglichst wenig halten muss.« Die Anlagen am Messegelände seien ebenfalls so eingestellt, dass bei Konzerten oder Messen der Verkehr von und zu den Parkplätzen schneller fließen könne. Auch zum Weihnachtsmarkt mit Hunderttausenden Besuchern gebe es speziell programmierte Ampeln.
Nicht nur den rollenden Verkehr haben die Experten in ihrer Leitzentrale im Blick. »Wir dürfen Fußgänger nicht zu lange vor roten Ampeln warten lassen«, sagt Rupprecht. »Ansonsten werden sie ungeduldig und laufen einfach über die Straße.« Die Grün-Phasen seien so eingestellt, dass auch sehbehinderte Menschen oder Ältere über die Fahrbahn gehen könnten, bevor Fahrzeuge bei Grün wieder starten. Solche Zeiten seien vorgeschrieben, erklärt Rupprecht.
»In Erfurt gibt es die grüne Welle für Fahrzeuge«, sagt Helbing, schränkt aber ein: »Allerdings nur, wenn der Auslastungsgrad nicht überschritten wird.« Das bedeute, es dürften nicht mehr als 40 Autos sein, die bei Grün starten. Alle Wagen, die später auf die nächste Ampel zusteuerten, müssen dann wieder bei Rot warten. dpa/nd
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