Der Fisch stinkt vom Kopf her
Fischereiunternehmen in Chile sollen sich durch Bestechung Vorteile verschafft haben
In Chile zieht ein Skandal um die mutmaßliche Bestechung neokonservativer Parlamentsabgeordneter durch Fischereifirmen immer weitere Kreise. Einer investigativen Recherche des Onlinemagazins »Ciper Chile« zufolge haben sowohl Politiker als auch deren Berater jahrelang Zahlungen von Unternehmen und Verbänden aus der privaten Fischereiwirtschaft erhalten, um ein Gesetzgebungsverfahren zugunsten der Privatisierung des Meeres zu beeinflussen. Bereits im August und September vergangenen Jahres hatte Chiles Staatsanwaltschaft Büros namhafter Fischereifirmen durchsucht und Beweise sichergestellt, so die neueste Reportage des Onlinemagazins.
Der Vorgang ist ein Paradebeispiel für die Scheckbuchpolitik des großen Fischerei-Business in der weltweit zehntgrößten Fischereination. 2012 war im neoliberalen Musterland Südamerikas ein neues Fischereigesetz verabschiedet worden, das auf das wirtschaftliche Überleben der rund 90 000 einfachen Fischerleute bis heute starke Auswirkungen hat.
Gewinner der umstrittenen Fischerei-Novelle waren damals wieder einmal die großen »sieben Familien«. Schon 2002 hatte die sozialdemokratische Regierung von Präsident Ricardo Lagos die Fischereiquoten ausgeschrieben, unter massivem Lobbyeinsatz sicherten sich die Familien Angelini, Lecaros, Yaconi-Santa Cruz, Sarquis, Stengel, Fernández und Izquierdo 92 Prozent aller Lizenzen.
Mit der Novelle von 2012 wurde ihnen die Küste Chiles schließlich auf Lebenszeit und vererbbar verpachtet. Den kleinen Leuten in den Fischerbooten blieben die Gräten: Befischen darf das Kleingewerbe nur noch den 1,5 Kilometer breiten Streifen vor der Küste, die fischreichen Fanggründe weiter draußen werden von den Großschleppern abgegrast. Monatelange Proteste der Kleinfischer blieben vergebens, das Gesetz ging wie von der neoliberalen Regierung unter Präsident Sebastián Piñera - dem reichsten Mann des 18-Millionen-Einwohner-Landes - geplant durch.
Beim Tauziehen um das Geschäft mit den Meeresproteinen scheint eine Menge Geld geflossen zu sein. »Ciper Chile« zufolge habe das norwegisch-dänische Unternehmen Lota Protein an die persönlichen Mitarbeiter der Senatoren Antonio Horvath und Carlos Bianchi von 2011 bis 2013 nachweislich insgesamt 445 Millionen chilenische Pesos (rund 635 200 Euro) ausgezahlt. Horvath war für das Fischerei-Business zu diesem Zeitpunkt eine zentrale Figur.
Das Mitglied der rechtskonservativen Partei Renovación Nacional (RN, Nationale Erneuerung) von Ex-Präsident Sebastián Piñera hatte damals den Vorsitz des Senatsausschusses für maritime Angelegenheiten, Fischerei und Aquakulturwirtschaft inne, er setzte sich für eine Öffnung der Fangquoten auch für ausländische Unternehmen ein.
Sein langjähriger Mitarbeiter Bernardo Caro, ein Fischerei-Ingenieur, hatte an die Firma mit eigener Flotte sowie Fabriken für Konserven und Fischmehl insgesamt 69 Rechnungen gestellt und nachweislich rund 391 100 Euro erhalten, veröffentlichte »Ciper Chile« die entsprechenden Unterlagen. Claudio Barrientos, Bürochef von Senator Bianchi, ebenfalls Berichterstatter für Fischereiwirtschaft, erhielt Zahlungen in Höhe von rund 25 000 Euro. Die Politiker bestreiten, von den Zahlungen ihrer Mitarbeiter gewusst zu haben.
Den Recherchen zufolge habe auch Víctor Marchant, Bürgermeister der Fischerei-Stadt Lota im Süden Chiles, von 2010 bis 2012 rund 26 500 Euro von »Lota Protein« überwiesen bekommen. Die Firma gehört seit 2013 zur TripleNine Group, die zu 50 Prozent dem norwegischen Unternehmen Vedda AS der Koppernaes Gruppe gehört. Die andere Hälfte wird von der dänischen TripleNine kontrolliert.
Auch der mächtige Lobbyverband »Nationale Vereinigung der Industriefischerei von Bio Bio« (ASIPES) ließ seine Muskeln spielen. Auf seiner Lohnliste fand »Ciper Chile« Abgeordnete der konservativen Partei »Unión Demócrata Independiente« (Unabhängige Demokratische Union, UDI), darunter den aktuellen UDI-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Juan Antonio Coloma, und Guillermo Ramírez, derzeitiger Vize-Präsident der Partei.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen auch wegen Schmiergeldzahlungen der heimischen Fischerei-Riesen Blumar, Pesquera Bío Bío und Alimentos Marinos. Von 2009 und 2013 haben sie die Präsidentschaftskampagnen finanziert, ganz vorneweg segelt Ex-Präsident Piñera mit insgesamt 82 Millionen Pesos (115 500 Euro) Wahlkampfhilfen.
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