Werbung

Protest auf der Twerskaja bis in den Abend

In Moskau gehörten zahlreiche Oberschüler und Studenten am Sonntag zu den Demonstranten

  • Axel Eichholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Folgen der Proteste vom Wochenende in Russland zeigten sich am Montag - nicht nur mit der Verurteilung des Oppositionellen Nawalny.

Von Axel Eichholz, Moskau

Der Rivale von Amtsinhaber Wladimir Putin bei der kommenden Präsidentschaftswahl, Alexej Nawalny, kam am Montag vor Gericht, obwohl er aus der ersten Konfrontationsrunde mit dem Kreml am Sonntag eindeutig als Sieger hervorging. Ihm wurden Verstöße gegen die Regeln von Massenveranstaltungen vorgeworfen. Der Richter verurteilte ihn zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 20 000 Rubel (320 Euro). Hinzu kommen 15 Tage Arrest wegen angeblichen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.

Nawalny hatte eine Protestdemonstration gegen Korruption in der Moskauer Twerskaja Straße beizeiten beim Moskauer Bürgermeisteramt angemeldet. Dort stimmte man dem aber nicht zu. Trotzdem forderte Nawalny seine Anhänger auf, dort auf die Straße zu gehen. Denn laut Verfassung seien Massenveranstaltungen nicht genehmigungs-, sondern nur meldepflichtig. Zwar können die Behörden dagegen Einspruch einlegen, sie müssen aber einen anderen gleichwertigen Ort für die Durchführung zur Verfügung stellen.

Die Behörden versuchten, die Demonstration an den Stadtrand zu verdrängen. Nawalny erwiderte aber, er sei bereit, jeden anderen Ort nur im Zentrum Moskaus zu akzeptieren. Seinen Mitstreitern versicherte er, von Gesetzes wegen stünden ihnen Wiedergutmachungen zu, falls sie festgenommen oder verhaftet würden.

Unmittelbar vor dem Termin veröffentlichte die Generalstaatsanwaltschaft Russlands eine Erklärung, in der sie vor Folgen warnte. Die Landesverfassung sei kein Freibrief für Gesetzesüberschreitungen, hieß es. Die Ordnungskräfte würden keine Demonstration zulassen. Offenbar rechnete die Regierung mit abschreckender Wirkung.

Nawalny riet aber den Teilnehmern, keine Plakate mitzunehmen, damit sie unerkannt blieben, und einfach aus allen U-Bahnhöfen in der Twerskaja zu kommen. Auf diese Weise wurden die Bürgersteige zu beiden Seiten der Straße vom Belorussischen Bahnhof bis zum Kreml von Menschen überflutet.

Nawalny wurde schon 15 Minuten nach Beginn der Demonstration von der Polizei gefasst. Marschteilnehmern, die ihn befreien wollten, sagte er, sie sollten die Demonstration fortsetzen. An mehreren Stellen, so am Puschkin-Platz, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Diese antwortete mit Massenverhaftungen. 500 bis 800 Protestierende verschwanden in Arrestwagen mit vergitterten Fenstern. Die Polizei geizte nicht mit dem Einsatz von Gummiknüppeln und Tränengas.

Trotzdem ging die behördliche Rechnung nicht auf. Die Demonstranten ließen sich bis in die späten Abendstunden aus der Twerskaja nicht vertreiben. Nach Polizeiangaben nahmen bis zu 8000 Menschen an der Aktion teil. Die amtliche Nachrichtenagentur TASS schätzte die Teilnehmerzahl auf 30 000 oder mehr. In anderen Städten nahmen mindestens 25 000 am Protest teil.

Der Moskauer Journalistenverband legte am Montag Protest gegen die Verhaftung von Pressevertretern ein, obwohl sie sich als solche ausweisen konnten. Washington verurteilte die Verhaftung von Hunderten friedlichen Demonstranten. Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow bezeichnete Berichte über die Proteste am Sonntag als »Provokation und Lüge«.

Der im Exil lebende Ex-Oligarch Michail Chodorkowski sagte, beim nächsten Versuch, »die Schrauben anzuziehen«, könnte der Kreml feststellen, dass jemand sie bereits geklaut habe. Aus solchen Aktionen entstünden oft Revolutionen, warnte der Schriftsteller Iossif Weller. Ein alarmierendes Zeichen: Anders als 2011 und 2012 stellten diesmal Oberschüler und Studenten der ersten Semester die Hälfte der Demonstranten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.