Spaltet ein Straßenname?

Selbst auf lokaler Ebene ist der deutsch-türkische Konflikt angekommen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Plakaten der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans, einer Organisation der Arbeiterpartei PKK, war der junge Asylbewerber Halim Dener in der Nacht zum 1. Juli 1994 in Hannovers Amüsierviertel »Steintor« unterwegs, wollte mit einer Klebeaktion auf Leiden seiner Landsleute in der Türkei aufmerksam machen. Justament als der 16-Jährige am Kleistern war, tauchten zwei Zivilpolizisten auf. Kurz darauf wurde Halim erschossen, mit der Waffe eines der beiden Beamten.

An dieses Geschehen möchte die Mehrheit des Bezirksrates in Hannovers Stadtteil Linden mit einem Halim-Dener-Platz erinnern und zugleich mahnen vor Gewalt gegen Fremde. Doch aus der SPD melden sich Bedenkenträger, so auch Hannovers Parteichef Alptekin Kirci. »Ist eine Straßenbenennung der richtige Weg in diesen aufgeregten Zeiten?«, zitiert ihn die »Hannoversche Allgemeine Zeitung«, und: Es sei besser, »einen Diskurs über Dener zu eröffnen«, meint der Sozialdemokrat.

Gar eine »Provokation ohne Not«, welche »die Stadtgesellschaft« spalten könnte, wittert die im Rat der Stadt Hannover sitzende türkischstämmige SPD-Frau Belgin Zaman in den Plänen aus Linden, einem von vielen Menschen mit Migrationshintergrund bewohnten Stadtteil. Entschieden wird die Benennung dort vom Bezirksrat, in dem Grüne, LINKE, Piraten und »Die Partei« für den Platz votieren möchten. Doch zuvor soll die Sache ausführlich diskutiert werden, wünscht sich Daniel Gardemon, Fraktionschef der Grünen im Rat jenes Stadtteils.

Der galt früher als durch und durch »rotes« Arbeiterviertel, ist mittlerweile auch als Schicki-Micki-Wohngegend gefragt, was aber nicht für alle Straßen gilt. Mehrere von ihnen erinnern an Antifaschisten, unter anderem an den Widerstandskämpfer Wilhelm Bluhm. Er war von den Nazis ermordet worden, nicht zuletzt, weil er die verbotenen »Sozialistischen Blätter« verteilt hatte.

Nahe »seiner« Straße soll der Platz benannt werden, der an Halim Dener erinnert - einen jungen Mann, der ebenfalls während einer »verbotenen« Aktion den Tod erlitt. Wie es dazu im Einzelnen kam, ist nach wie vor umstrittenen. Es war ein Unglücksfall, hieß es von amtlicher Seite. Während der Festnahme sei einem der Beamten beim Gerangel mit dem jungen Kurden die Dienstwaffe aus dem Holster gerutscht. Als der Polizist den Revolver wieder an seinen Platz stecken wollte, habe sich versehentlich ein Schuss gelöst.

Von verschiedenen Seiten wurden Zweifel an dieser Version geäußert. Zu hören war, die Waffe des 28-jährigen Polizeiobermeisters, ein amerikanischer Smith & Wesson-Revolver 38, sei gut zu sichern und benötige zum Schuss ein ziemlich kräftiges Betätigen des Abzugs.

Auch gab es während des Pozesses gegen den Polizisten, angeklagt wegen Verdachts fahrlässiger Tötung, ihn belastende Darstellungen. Kurdische Zeugen wollten gesehen haben, dass Halim Dener vor den Beamten flüchtete und von ihnen verfolgt wurde. Erst während des Weglaufens sei der Schuss gefallen. Das Landgericht in Celle jedoch sah nach Auswerten der Beweislage und aller Aussagen weder ein fahrlässiges Handeln noch eine Tötungsabsicht gegeben - und sprach den Polizisten Mitte 1997 frei.

Immer wieder gab es seither Trauerkundgebungen und Demonstrationen, auf denen an Halim Dener erinnert wurde. Er sei zu einer Symbolfigur geworden für den Freiheitskampf des kurdischen Volkes, ist bei solchen Anlässen zu hören. Und immer wieder wurde und wird ein sichtbares Gedenken an den Getöteten gefordert.

So legten Unbekannte im vergangenen Sommer nahe dem Ort, an dem der 16-Jährige sein Leben verlor, eine Platte mit seinem Namen und der Anklage »von der Polizei ermordet« in den Bürgersteig. Die Tafel wurde kurz nach ihrer Installation von der Stadtverwaltung entfernt. Vielleicht muss die gleiche Verwaltung nun schon bald Straßenschilder mit der Aufschrift Halim-Dener-Platz in Auftrag geben.

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