Dirk K. gegen Hartz IV
Erwerbsloser Elektroinstallateur will sich beim Internationalen Gerichtshof beschweren
In Saal 2 im modernen Anbau des Amtsgerichts Oranienburg geht es am Mittwochmorgen Schlag auf Schlag. Zunächst wird ein Autofahrer abgeurteilt, der mit einem Dienstwagen raste. Der auf dem Blitzerfoto klar zu erkennende Mann, das sei er nicht, beteuert der Beschuldigte. Doch dann müsste er einen Zwillingsbruder oder einen anderen Doppelgänger haben. Die Richterin bestätigt die verhängten 80 Euro Geldbuße und einen Monat Fahrverbot. Nach wenigen Minuten ist die Angelegenheit erledigt.
Dann wird der erwerbslose Elektroinstallateur Dirk K. nach vorn gebeten. Bei ihm dauert das Verfahren zehn Minuten. Er soll die Nebenkostenabrechnung für seine Mietwohnung in Gransee zu spät beim Jobcenter eingereicht haben. Deswegen bekam er vom Landkreis Oberhavel eine Strafe von 35 Euro aufgebrummt. Die will er nicht bezahlen. Darum sitzt der große, etwas rundliche Mann nun hier - im Blaumann, mit Drei-Tage-Bart und überzeugt davon, dass ihm Unrecht geschieht.
Die Richterin erkennt, dass die Sache an sich »kein Ding« wäre, ahnt jedoch, dass sich da etwas »hochgeschaukelt« habe. Da liegt sie richtig. Angefangen hat es nach Darstellung von Dirk K. im Winter 2015, als ihm der Brennstoff für seine Ofenheizung ausging. Der Kohlenhändler hatte Lieferschwierigkeiten, und Dirk K. wollte sich, um zwei bis drei Wochen zu überbrücken, einen Raummeter Brennholz aus dem Baumarkt holen. Doch das Jobcenter wollte einen Kostenvoranschlag, der Baumarkt wollte die Ware nur gegen bares Geld herausrücken oder nach Eingang der Summe auf dem Konto. Der heute 54-jährige Betroffene hatte nach eigenem Bekunden aber kaum noch Benzin im Tank und sah keine Möglichkeit, wegen der Sache noch viele Kilometer hin und her zu fahren. Das Jobcenter war gut geheizt und so blieb er einfach vor der Mitarbeiterin auf dem Stuhl sitzen, bis die Polizei mit Martinshorn vorfuhr.
Der Einsatz brachte Dirk K. vors Amtsgericht Zehdenick, mit dem er sich auch noch angelegte. Er akzeptiere nicht, aufgrund von Bestimmungen aus der Nazizeit verdonnert zu werden, sagt er und meint damit die Justizbeitreibungsordnung von 1937. Daraufhin erhielt er eine schriftliche Belehrung, die eigentlich für die oft neofaschistisch eingestellten Reichsbürger gedacht ist, die an den Fortbestand des Deutschen Reiches glauben und die Bundesrepublik nicht anerkennen. So einer ist Dirk K. aber nicht. Er ist empört.
Seine Nebenkostenabrechnung für 2015 - die ausgewiesenen 140,57 Euro Guthaben sind inzwischen mit dem Arbeitslosengeld verrechnet - trägt das Datum 2. Mai 2016. Beim Jobcenter abgegeben hat er das Schriftstück aber erst im August vergangenen Jahres. Doch bei ihm im Briefkasten habe die Abrechnung erst Mitte Mai gelegen und dann gebe es noch einen Monat Widerspruchsfrist, argumentiert der 54-Jährige - allerdings erst nach der Verhandlung draußen auf dem Flur. Drin im Saal will er von der Richterin nur immer wieder wissen, in welchem Gesetz denn der Zeitraum definiert sei, in dem er die Abrechnung hätte vorlegen müssen. Die Juristin fühlt sich geschulmeistert, bricht den Dialog mit der Bemerkung ab, man könne jetzt ewig »Pingpong« spielen, und urteilt nach Aktenlage. »Unverzüglich« habe der Langzeitarbeitslose die Abrechnung einreichen müssen. Das habe er nicht getan. Also: 35 Euro Geldbuße. Zudem soll Dirk K. die Kosten des Verfahrens tragen. Nach seiner Erfahrung werden sich diese Kosten auf rund 90 Euro belaufen.
Einen Anwalt hat Dirk K. nicht mitgebracht, nur einen Rentner von der IG Metall, der ehrenamtlich erwerbslose Kollegen berät und in Streitfällen schon oft ein Einlenken des Jobcenters bewirkte. Der Rentner macht Dirk K. Vorwürfe, dass er in der Verhandlung nicht richtig dargestellt habe, dass kein Betroffener genau wissen könne, wann die Abrechnung nun spätestens im Jobcenter sein müsse, dass so praktisch jeder mit einem Bußgeld belegt werden könnte. Doch dann winkt der Berater ab. »Du willst ja gar nicht gewinnen«, stellt er fest.
Das stimmt für den Moment. »Ich werde Revision einlegen, die wird abgelehnt und dann ist der Weg frei nach Den Haag«, sagt der soeben Verurteilte. Beim Internationalen Gerichtshof will er sich beschweren. Das Sozialgesetzbuch SGB II verletze seine Grundrechte, indem es beispielsweise seine Bewegungsfreiheit einschränke. An 40 Stellen im SGB würden Grundrechte verletzt, ohne die Gesetzesgrundlage dafür zu zitieren, wie es dem Grundgesetz nach vorgeschrieben wäre, beschwert sich Dirk K. Er möchte Hartz IV kippen. Es ist ein Kampf David gegen Goliath.
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