Attacke auf »Pegida-Versteher«
Landespolitiker empört über Anschlag auf Auto des Dresdner Politologen Werner Patzelt
Vor anderthalb Wochen beschrieb der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt auf einem Podium in Berlin, wie die »Geschäftsgrundlage pluralistischer Demokratien« durch Gewalt untergraben wird: Gewalt, bei der Gegner verbal und körperlich eingeschüchtert, Büros angegriffen oder »Fahrzeuge in Brand gesteckt und abgefackelt« werden. Inzwischen klingt das Zitat ahnungsvoll: Mitte der Woche ging Patzelts Privatauto in Flammen auf. Weil ein politisch motivierter Hintergrund nicht ausgeschlossen wird, ermittelt das darauf spezialisierte Operative Abwehrzentrum der sächsischen Polizei.
Patzelt selbst verortet die Täter für den mutmaßlichen Anschlag, der nachts in einer bürgerlichen Dresdner Wohngegend verübt wurde, im radikal-linken Spektrum. Es werde wohl »ein Etappensieg im antifaschistischen Kampf gegen Rassismus und Chauvinismus zu feiern sein«, schrieb er sarkastisch in seinem Blog. Zur Begründung verwies er auf eine »aus Berlin wohl bekannte Technik der Brandauslösung« und eine Drohung, die auf dem linken Nachrichtenportal Indymedia vor seinem Auftritt in Berlin zu lesen war. Patzelt hatte bei einem von der AfD veranstalteten »Extremismuskongress« gesprochen. Unter Bezug darauf forderten die Kritiker, es werde »höchste Zeit, ihn spüren zu lassen, dass Verständnis für Rassist*innen Konsequenzen hat«.
Scharfe Kritik ist der 63-jährige Bayer, der an der TU Dresden lehrt und CDU-Mitglied ist, gewohnt. Seine Studien über die Dresdner »Wutbürger«-Bewegung trugen ihm den Ruf eines »Pegida«-Verstehers ein, den eine regelmäßige Kolumne in der Regionalzeitung weiter befördert. In Talkshows wird er regelmäßig geladen, wenn es darum geht, die Seelenlage von Anhängern des Rechtspopulismus zu ergründen. Patzelt nimmt die Rolle augenscheinlich mit Freude an - ebenso wie Einladungen etwa zu dem Kongress der AfD, bei dem er indes nicht nur Beifall erntete. So warnte er die Partei, ihre Treue zum Grundgesetz gerate in Zweifel, je öfter »die politische Ordnung von einzelnen Mitgliedern als abschaffungswürdig gesehen wird«. Die Forderung von Björn Höcke nach einer »180-Grad-Wende« in der deutschen Erinnerungspolitik bewertete er als Ausdruck eines »demokratiefeindlichen Nationalismus«, den die AfD »in ihren Reihen unterbinden« müsse, wolle sie nicht einer »Radikalisierungsspirale bis zum offenen Extremismus« Vorschub leisten. Der Berliner »Tagesspiegel« sah die Rede als eine Art »Nachhilfestunde in Sachen Verfassungskonformität« für die AfD.
Der Anschlag auf das Auto des Politologen wird in der sächsischen Landespolitik verurteilt. SPD-Landeschef Martin Dulig erklärte, Gewalt sei »keine legitime Form der Kritik«. LINKE-Landeschef Rico Gebhardt sprach von einer »nicht hinnehmbaren weiteren Eskalationsstufe in der aus dem Ruder gelaufenen gesellschaftlichen Konfliktkultur«. Der Politiker merkte an, er habe einen »grundsätzlichen Dissens« mit Patzelt, was die Bewertung von Pegida angehe. Ein Anschlag erwecke aber den »fälschlichen Eindruck«, es gebe gegen dessen Verlautbarungen »keine wirkmächtigen Argumente«.
Patzelt ist in Sachsen so etwas wie der Platzhirsch auf dem Feld der Politikanalyse - ein Status, der künftig noch ausgeprägter werden könnte. Er gilt als Anwärter für den Chefposten eines »Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt«, das im Freistaat eingerichtet werden soll und für das der Bundestag die stolze Summe von 37 Millionen Euro bereitstellen will. Einer Anmerkung des dortigen Finanzausschusses zufolge soll es die »Einwanderungs- und Integrationspolitik an der Schnittstelle von Wissenschaft, zivilgesellschaftlichem Engagement und Praxis« erforschen. Die »Sächsische Zeitung« rechnet vor, die Summe würde für 80 bis 90 Stellen reichen, und vergleicht das mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden, das 13 wissenschaftliche Mitarbeiter hat. Über das künftige Konzept des neuen Instituts ist bislang freilich nichts bekannt, was Abgeordnete wie die Grüne Claudia Maicher hellhörig macht. Sie verweist auf ein fast namensgleiches »Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration«, das bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung gegründet wurde. Einer der maßgeblichen Beteiligten ist ausgerechnet Patzelt. Maicher warnt vor »parteipolitischem Wünsch-dir-was« und einer Instrumentalisierung wie einst beim Hannah-Arendt-Institut - dessen wissenschaftlichem Beirat damals Werner Patzelt vorstand.
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