Erdogans selbstsicherer Wahlkampf

Mit voller Kraft gegen den Westen: Warum der türkische Präsident auf verbale Eskalation setzt

  • Ismail Küpeli
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Umfragen im Vorfeld des Referendums in der Türkei sind denkbar knapp. Der Vorsprung der Gegner des Präsidialsystems schrumpft - nicht zuletzt durch den aggressiven Wahlkampf gegen die AKP-Regierung, in der zunehmend der Westen als Feindbild genutzt wird.

Die gesamte Politik der AKP-Regierung ist auf einen Sieg bei dem Referendum am 16. April ausgerichtet. Der Staatsapparat wird ebenso dafür eingesetzt wie die regierungsnahen Medien. Polizei und Justiz gehen gegen Oppositionelle vor, die für ein Nein zum Präsidialsystem mobilisieren und schrecken auch nicht davor zurück, dutzende Menschen festzunehmen mit absurden »Terrorismus«-Vorwürfen. Sie führen dabei nur das aus, was Staatspräsident Erdogan mit seiner immer wieder kehrenden Gleichsetzung von Regimegegnern mit Terrorismus nahelegt. Mit diesem repressiven Vorgehen gewann die AKP-Regierung die Neuwahlen im November 2015.

Was den derzeitigen Wahlkampf um das Referendum von den Neuwahlen im November 2015 unterscheidet, ist die verbale Eskalation gegen den Westen. Diese Eskalation ist weder ein Zufall noch allein dem Ego Erdogans geschuldet. Die AKP-Regierung hat es nicht geschafft, eine Mehrheit der türkischen Bevölkerung vom Präsidialsystem zu überzeugen. Was die AKP mit Argumenten für das Präsidialsystem nicht erreicht hat, soll jetzt ein Bedrohungsszenario erwirken, in der die türkische Bevölkerung sich vom Ausland angegriffen fühlen und deswegen hinter der eigenen Staatsführung sammeln soll.

Die AKP kann dabei auf die antiwestlichen Strömungen des türkischen Nationalismus setzen, die dem Westen unterstellen, die Feinde der Türkei zu unterstützen. Diese nationalistischen Denkmuster, in der vermeintliche Feinde im Inland und im Ausland zu einer antitürkischen Verschwörung zusammengedacht werden, sind kein Randphänomen. So lancierten türkische Nationalisten die Behauptung, dass die kurdische PKK insgeheim eine armenisch-christliche Verschwörung sei. Inzwischen bedient sich die AKP dieser Verschwörungstheorien und lässt etwa über die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi regelmäßig Falschmeldungen über getötete PKK-KämpferInnen, die bei sich christliche Kreuze tragen würden, verbreiten.

Diese Verschwörungstheorien und haltlosen Anschuldigungen werden nicht mehr nur gegen die »inneren« Feinde wie etwa die kurdische PKK oder die islamische Gülen-Bewegung eingesetzt, sondern auch gegen die westlichen Staaten. Dies mag im Sinne des Wahlkampfes in der Türkei wirksam sein. Es ist aber fraglich, ob die türkische Regierung mit dieser verbalen Eskalation nicht dauerhaft die politischen und ökonomischen Beziehungen zum Westen im Generellen und der Europäischen Union im Besonderen beschädigt.

Trotz der scheinbar selbstsicheren Äußerungen der Regierung ist das Land auf diese Beziehungen angewiesen. 48 Prozent der Importe stammen aus der EU und 58 Prozent des Exports geht in die EU. Deutschland ist der größte Handelspartner mit 13 Prozent der Gesamtimporte und 14 Prozent der Gesamtexporte. Der türkische Tourismussektor ist insbesondere nach dem Wegfall der russischen TouristInnen auf die deutschen UrlauberInnen dringend angewiesen. In dieser Lage die Beziehungen zur EU und Deutschland in Gefahr zu bringen, birgt mittel- und langfristig große Risiken für die türkische Wirtschaft. Die AKP-Regierung plant aber derzeit nicht für solche Zeiträume, sondern lediglich bis zum Referendumstag am 16. April.

Wahrscheinlich setzt die Regierung darauf, nach dem gewonnenen Referendum die Beziehungen zum Westen wieder reparieren zu können - nicht zuletzt, weil der Westen die Türkei als Bündnispartner im Nahen und Mittleren Osten braucht. Das autokratische Präsidialsystem wird dabei kein Hindernis darstellen. Der Westen, die EU und Deutschland kooperieren mit solchen Regimen, wie etwa in Ägypten und Aserbaidschan, hervorragend. Es kommt lediglich darauf an, ob diese Regime die westlichen politischen und ökonomischen Interessen bedienen können und wollen. Autoritär hergestellte Stabilität wird aus Sicht des Westens begrüßt, wenn sie diesen Interessen dient.

Die eher moderaten Reaktionen aus Deutschland scheinen diese Annahme zu bestätigen. Während aus Ankara tagtäglich die schrillsten Anschuldigungen zu hören sind, ist man im politischen Berlin höchstens »besorgt« und finden die türkischen Äußerungen »nicht hilfreich«. Von außen könnte man fast den Eindruck gewinnen, als sei Deutschland im politischen und ökonomischen Vergleich der Türkei unterlegen - und nicht anders herum. Wenn die türkische Regierung also davon ausgehen kann, dass nach dem gewonnenen Referendum die traditionell guten Beziehungen zur Bundesrepublik wiederhergestellt werden, dann kann sie auf gute Beziehungen zur Gesamt-EU hoffen, in der Deutschland nach wie vor federführend ist.

Für die Zeit nach dem Referendum gibt es aber ein zweites mögliches Szenario. Deutschland und die Europäische Union könnten ihre bisherige Politik ändern und in Verhandlungen mit der Türkei eher auf sichtbaren Druck setzen und sich öffentlich von Erdogan distanzieren. Wirtschaftliche Sanktionen und andere außenpolitische Maßnahmen könnten eingesetzt werden, damit die türkische Staatsführung eine den deutschen und europäischen Interessen konforme Politik verfolgt. Auch in diesem Fall würden Deutschland und die EU keine Außenpolitik verfolgen, die auf Demokratie und Menschenrechte in der Türkei abzielt. Aber eine Politik, die Erdogan immer wieder vorführt und seine Machtmittel einschränkt, könnte langfristig dennoch zu einer Stärkung der Opposition führen.

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