Venezuela: Parlament wieder eingesetzt
Oberstes Gericht revidiert Entmachtung nach harscher internationaler Kritik / Generalstaatsanwältin sprach von »Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung«
Berlin. Wende nach harscher internationaler Kritik: Das Oberste Gericht Venezuelas hat mehrere eigene Urteile wegen der Verfassungskrise annulliert. Auf Veranlassung von Präsident Nicolás Maduro hoben die Richter am Samstag eine Entscheidung auf, mit der das von der Opposition beherrschte Parlament entmachtet worden war. Die Opposition kritisierte den Schritt als bedeutungslos - der »Staatsstreich« gehe weiter, sagte Parlamentspräsident Julio Borges.
Auf seiner Website gab der dem Präsidenten nahestehende Oberste Gerichtshof bekannt, dass er auch die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten wieder zurücknehme. Außerdem hob das Gericht ein Urteil auf, mit dem der sozialistische Staatschef Maduro Sondervollmachten im Kampf gegen Terrorismus und organisiertes Verbrechen erhalten hatte.
Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, Maikel Moreno, bestritt in einer Erklärung vor dem Diplomatischen Corps, dass das Parlament mit den umstrittenen Urteilen seiner Funktionen beraubt worden sei. Es sei nie Ziel gewesen, die Volksvertretung aufzulösen.
Maduro hatte nach einer Krisensitzung des nationalen Verteidigungsrats in der Nacht zum Samstag in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache angekündigt, das Gericht werde die Urteile überprüfen, »klarstellen und korrigieren«. Die durch die Richtersprüche ausgelöste Krise erklärte er für »überwunden«.
Das Oberste Gericht hatte am Mittwoch dem Parlament die Kompetenzen entzogen und auf sich selbst übertragen. Die Opposition warf Maduro daraufhin einen »Staatsstreich« vor. Die USA, die EU, Deutschland, Spanien und mehrere lateinamerikanische Länder beklagten ebenfalls eine Abkehr von der verfassungsmäßigen Ordnung in Venezuela.
Am Freitag sprach auch Generalstaatsanwältin Luisa Ortega während einer Live-Sendung im Fernsehen überraschend von einem »Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung«. Ortega, die eigentlich als regierungsfreundlich galt, ging damit auf Distanz zu Maduro.
Der Präsident widersprach der Generalstaatsanwältin. Die Verfassung sei ebenso wie die »zivilen, politischen und Menschenrechte und die Macht des Volkes vollständig in Kraft«, sagte er wenige Stunden später in einer Rede.
Ortega nahm an dem Treffen des Verteidigungsrats allerdings ebenso wenig teil wie Parlamentspräsident Borges. Maduro trage die Verantwortung für den Verfassungsbruch und dürfe sich nun nicht als Vermittler aufspielen, erklärte er. Zuvor hatte Borges das Militär aufgefordert, sein Schweigen zu brechen und sich hinter die Regierungsgegner zu stellen.
Das Oppositionsbündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) will mit einer Reihe von Protestaktionen den Druck auf Maduro erhöhen. Fraktionschef Stalin González kündigte eine »riesige Bürgerbewegung« der Gegenwehr an. Bei einer Demonstration auf einem Platz in Caracas forderten rund tausend Teilnehmer, unter ihnen zahlreiche Parlamentsabgeordnete, vorgezogene Neuwahlen. Sicherheitskräfte trieben die Menge anschließend mit Tränengas auseinander. Bereits am Freitag hatte es kleinere Proteste gegeben.
Der Druck auf Maduro dürfte auch international weiter steigen. Der südamerikanische Wirtschaftsblock Mercosur, der Venezuelas Mitgliedschaft bereits im Dezember vorübergehend ausgesetzt hatte, berief für Sonntag ein Krisentreffen ein. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) will am Montag über die Lage in Venezuela beraten.
Die Regierungsgegner kämpfen seit Monaten für eine Volksabstimmung über eine Amtsenthebung des Präsidenten. Sie machen ihn für die schwere Wirtschaftskrise verantwortlich, die durch den starken Ölpreisrückgang seit 2014 verschärft wurde. Im Zusammenhang mit Versorgungsengpässen gab es in dem südamerikanischen Land bereits mehrfach schwere Unruhen und Plünderungen. Bei Protesten wurden zahlreiche Menschen getötet.
Maduro hat bisher jedoch alle Versuche der rechtsgerichteten Opposition abwenden können, ihn aus dem Amt zu jagen. Regulär endet sein Mandat im Dezember 2018. AFP/nd
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