Raus aus dem Hamsterrad!
Die Gruppe Haus Bartleby predigt den Abschied vom Arbeitswahn - doch auch Müßiggang macht Mühe
Mit der Absageagentur machte das Haus Bartleby Furore. Zwischen 2010 und 2012 eröffnete die Gruppe in verschiedenen Städten Büros, in denen Interessierte den Personalbüros nicht etwa ihre besonderen Qualifikationen anpriesen. »Wir bieten Ihnen einen effizienten Service, wenn es darum geht, problematische Stellenangebote zu erkennen und dauerhafte Lösungen zu finden«, so bewarb die ungewöhnliche Einrichtung ihre Dienste. Die Kunden der Absageagentur teilten verschiedenen Personalbüros mit, warum sie eine miese Stelle lieber nicht antreten wollten.
»Ich möchte lieber nicht« wurde zum Leitmotiv des Haus Bartleby, einer Assoziation junger Wissenschaftler, Künstler und Autoren. Als Namensgeber hatten sie sich einen Romanhelden des US-Schriftstellers Hermann Melville ausgesucht. Der Held seiner Erzählung »Bartleby, der Schreiber« hat jahrelang unauffällig als Rechtsanwaltsgehilfe gearbeitet, bis er alle Tätigkeiten mit einem schlichten Satz ablehnte: »I would prefer not«. Der Satz kann mit »ich möchte lieber nicht« oder schlicht und prägnant mit »nein danke« übersetzt werden.
Es ist ein gutes Motto für eine Generation hochqualifizierter, prekärer Wissensproduzenten, die sich nicht mehr meistbietend verkaufen wollten. »Viele von uns waren KarrieristInnen, oder zumindest Leute, die mit den vielbeschworenen ›Chancen‹ ausgerüstet sind, die bei Anpassung ans Konkurrenzsystem ein Leben im Wohlstand der 20-Prozent-Gesellschaft ermöglichen würden«, beschreibt Alix Faßmann vom Haus Bartleby ihre Klientel. Sie ist Mitherausgeberin der Anthologie »Sag alles ab - Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik«. In dem Band fordern KünsterInnen und PublizistInnen die Absage an die »Ideologie des Arbeitswahns« und die »Rückeroberung der eigenen Besinnung« (Martin Nevoigt). Stattdessen möge man den Müßiggang, die Eleganz und die Liebe pflegen. »Hamster, halte das Rad an«, fordert das Herausgeberkollektiv.
»Linkssein ist heute die totale Karriereverweigerung«, dieses Motto fand Anklang bei vielen Prekären, die sich im Alltag ganz pragmatisch ihren Weg durch den Projekte- dschungel bahnen mussten.
Mit den Niederungen der Projektfinanzierung machten auch die Mitstreiter von Haus Bartleby Erfahrungen. »Die Arbeit von Parteistiftungen, die so schillernde Namen wie Rosa Luxemburg und Heinrich Böll tragen, hat sich leider weitgehend als dysfunktional erwiesen, was uns im größeren Maßstab nicht überrascht, jedoch uns persönlich vor Probleme in diesem Jahr stellt«, erklärt der Soziologe und Mitbegründer des Haus Bartleby Hendrik Sodenkamp gegenüber »nd«.
Das Kapitalismustribunal war das größte Projekt des Haus Bartleby. Die genannten Stiftungen hatten, so Sodenkamp, den ersten Teil des Spektakels finanziell unterstützt. Zwischen 1. und 12. Mai 2016 wurden in Wien rund 400 Anklagen aus aller Welt gegen das derzeitige ökonomische System und die Gesetze, die es tragen, verlesen und verhandelt. Dutzende bekannte Wissenschaftler nahmen an der - nach Manier einer Gerichtsverhandlung gestalteten - Performance teil, die Weltöffentlichkeit konnte dem mitunter etwas ermüdenden Verfahren zusehen.
Für die Fortführung des Tribunals gab es allerdings keine Anschlussförderung durch die Stiftungen mehr. Die Pressesprecherin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Jannine Hamilton wollte sich gegenüber »nd« im Detail nicht dazu äußern. »Die Förderung eines Projektes in einem Jahr begründet keinen Automatismus für die weitere Förderung im Folgejahr. Auch beim ›Kapitalismustribunal‹ gab es zu keiner Zeit eine Zusage zur Fortführung an die AntragstellerInnen«, betont Hamilton.
Nun wollen die Aktiven des Haus Bartleby neue Sponsoren für den zweiten Teil des Kapitalismustribunals finden. Zwischen Oktober 2017 und Juni 2018 sollen in sieben öffentlichen Verhandlungen im Berliner Haus der Demokratie exemplarisch 28 Anklagen präsentiert werden. Der Ablauf ist bereits minuziös vorgeplant: Zu jedem Generalfall werden von einem Experten der Kapitalismusanklage Beweise in Form von Urkunden präsentiert. Im Anschluss hat die Verteidigung zehn Minuten, um darauf zu reagieren. Später soll dann in einem Wiener Theater das Urteil über den Kapitalismus gesprochen werden.
Die filmische Dokumentation des Wiener Auftakttribunals wurde in einer eben zu Ende gegangen Ausstellung im Kulturverein Neukölln gezeigt und kann beim Videoportal Youtube betrachtet werden. Ein Großteil der Anklagen blieb leider recht abstrakt. So verklagte ein Antragssteller den Kapitalismus, weil er ihm durch den Zwang, seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Lebenszeit stehle. Ein anderer Kläger beschuldigte die Banken und die Geldwirtschaft des Verbrechens.
Das Haus Bartleby ist jetzt einmal wieder sehr praktisch mit den alltäglichen Sorgen im Kapitalismus konfrontiert. Es musste seine Arbeitsräume in Berlin-Neukölln aufgeben, weil die Miete zu teuer geworden ist.
Haus Bartleby (Hg.), Sag alles ab! - Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik, Nautilus, broschiert, illustriert,
160 Seiten
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