Meine soziale Hängematte

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Endlich naht das Wochenende, also die Zeit zum Lesen der Zeitungen der letzten fünf Tage. Das Wetter und die Verhältnisse werden dafür geeignet sein: herbstliche Temperaturen, kein anstehender Subbotnik. Überstanden sind die zwei dunklen Drittel der Woche, mitsamt der Lohn- und Hausarbeit. Nun aber her mit den Erdnussflips und dem ersten halben Liter, und hinein in die Hängematte, die einst im bunten Laden an der grauen Kreuzung gekauften.

Es war vor etwa 15 Jahren, als wir uns dieses gelb-rote Minolgeflecht besorgten, dieses leuchtende, gar nicht mal so teuer gewesene und immer noch stabile. Wir nannten sie Minolmatte, weil bei den Tankstellen der DDR diese Farben dominierten. Wir hätten auch Vorwärts-Matte sagen können, entsprechend der fröhlichen Farben vom Armeesportklub, der in den 60ern und 70ern im Prenzlauer Berg dominierte, und dessen Fußballelf vom Volke wiederum Minoltruppe genannt wurde.

Jedenfalls hängt dieses unmorsche Geflecht im Wohnzimmer, in ihm lässt es sich wunderbar schaukeln. Doch wenn ich mit dem Kopf zum Fenster liege, droht mir die liebe Sonne mit einer Vitamin-D-Vergiftung, und wenn ich mich umdrehte, wärmt die gelbe Else mir zwar die Füße, mir kühlt aber zu schnell der Rücken aus. Ich beherzige den Rat des Literaten Thilo Sarrazin und ziehe einen Pullover über. Denn es kann eine Stunde nach der anderen vergehen, bis ich mich durch die gesammelten Werke der letzten Tage gekämpft haben werde.

Leider erscheint heutzutage keine ernst zu nehmende Tageszeitung mehr, die sich mit überwiegend kurzen Artikeln für den Alltag empfiehlt, für die flotte Lektüre in Bussen und Bahnen, für die Pausen zum Frühstück und zum Mittag. Viele Zeitungen sind heute gefühlte kleine Bücher. Sie sind für den Arbeitsalltag vom Maurer, Maler und Meisenmann nicht geeignet; aber gut genug für die Mußestunden am Wochenende in der Hängematte, in der sich ein halber Liter nach dem anderen hinunterschlucken lässt. Wasser.

Ich trinke aus dem großen Bierglas vom St. Patrick’s Day, das ich vor 20 Jahren aus einem Irish Pub in Mitte mitgehen ließ, am liebsten Wasser ohne alles. Am Sonnabendvormittag will ich kein Guinness, aus reiner Gewohnheit, ich führe meinem Körper lieber den wöchentlichen Wasserbedarf zu. Muss ja, denn auf dem Bierdeckel unter dem Guinnessglas wird verraten: Wasserkrug macht alt und klug. Ich ziehe meine Vorsorgemaßnahmen durch, wenn ich schon nicht zehn Jahre studiert und in 20 Jahren ein Imperium aufgebaut habe, um jetzt die Zeit zu haben, jeden Tag ein kleines Buch zu lesen.

Es heißt: Wer kurze Informationen wünscht, brauche keine Zeitung, sondern ein Wischtelefon. Außerdem gebe es die Arbeiterklasse nicht mehr, und mich auch nicht. Na, immerhin sind unsere häuslichen Verhältnisse so, um zwei Tage in der Minolmatte schaukeln zu können. Und nach dem Pressemarathon gibt es einen Likör.

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