AfD-Chefin Frauke Petry isoliert sich weiter
Landesvorsitzende lehnen »Sachantrag« zur Neuausrichtung der Rechtsaußenpartei mehrheitlich ab / Gauland verzichtet auf Spitzenkandidatur
Als Frauke Petry Samstagmittag auf dem Marktplatz in Essen anreiste, um dort gemeinsam mit dem NRW-Landesverband der Rechtspartei den Endspurt im Landtagswahlkampf einzuläuten, wirkte die Parteichefin für ein paar Momente gelöst. Hier in Nordrhein-Westfalen, wo ihre Ehemann Marcus Pretzell als einer von zwei Landeschefs und als Spitzenkandidat den Ton angibt, musste Petry erst einmal keine weiteren innerparteilichen Attacken befürchten.
In den letzten Tagen war es noch einsamer um die Parteichefin geworden. Doch für diese Isolation einer im Parteivorstand ohnehin unbeliebten Person hat Petry selbst gesorgt. Quasi im Alleingang will sie das Machtgefüge in der AfD vom Kopf auf die Füße stellen, ein für alle mal die Streitfrage klären, wer in der Rechtsaußenpartei das Sagen hat. Doch für ihren Antrag, mit dem Petry die AfD angeblich zu einer »bürgerlichen Volkspartei« mit mittelfristigem Regierungsanspruch umformen will, braucht sie Verbündete, die sie für ihren kühnen Plan offenbar nicht hat. Die Machtfrage könnte damit bereits geklärt sein, noch bevor sie Petry auf dem Kölner Bundesparteitag in zwei Wochen überhaupt stellen kann.
Dass ihr Plan wie der Alleingang einer Getriebenen anmutet, wurde am Freitag deutlich, als die Parteispitze in einer Telefonkonferenz mit den AfD-Landesvorsitzenden auch auf Petrys Antrag zu sprechen kam. Wie der »Stern« berichtet, interpretierte die große Mehrheit der Teilnehmer das Papier als das, wofür es wohl auch gedacht ist: eine erneute Kampfansage der Parteivorsitzenden an ihren Dauerrivalen Björn Höcke nebst der Formulierung des Anspruchs, in Zukunft alleinige Chefin im Hause zu sein. Dass solch ein Vorstoß zu Beginn des Bundestagswahlkampfs schlecht ankommen würde, hätte Petry eigentlich ahnen können. In Anbetracht sinkender Umfragewerte dürfte es in der Parteispitze niemanden gelegen kommen, wenn ausgerechnet die Bundesvorsitzende damit beginnt, die Basis in vermeintliche Realos und Fundamentalisten zu spalten.
Die Klatsche hätte laut »Stern«-Informationen dann auch nicht größer ausfallen können: 12 der 13 zugeschalteten Landeschefs forderten Petry demnach unmissverständlich auf, ihren Antrag zurückzuziehen. Besonders bitter: Selbst Leif-Erik Holm, AfD-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, der den Antrag zunächst unterstützte, entzog Petry wieder das Vertrauen, nachdem er mitbekommen hatte, worum es der Parteivorsitzenden tatsächlich ging. Georg Pazderski, Landeschef der Berliner AfD, hatten selbigen Schritt laut »Bild« bereits einen Tag vorher vollzogen. Es heißt, er habe die finale und auch ältere Versionen des Antrags nie zu Gesicht bekommen. Fakt ist allerdings, dass sein Name zunächst auch unter dem Papier stand.
Für Petry wäre dies schon demütigend genug, doch nachdem ihr Vorstoß an die Öffentlichkeit kam, dauerte es nicht lange, bis ihre Gegenspieler in der Partei zum Konterangriff übergingen. Am Samstag zerlegte Co-Chef Jörg Meuthen in der »Frankfurter Allgemeinen« genüsslich das Papier seiner Kollegin. Die Einteilung in Realpolitiker und Fundamentalisten sei »konstruiert und keineswegs stimmig«, erklärte er und stellte unmissverständlich klar: »Diese Initiative geht so gar nicht. Wir müssen die Reihen schließen, nicht spalten. Wer das nicht versteht und akzeptiert, kann weder die Partei noch den Wahlkampf anführen.« Eindeutiger hätte Meuthen den Führungsanspruch Petrys nicht zurückweisen können.
In sehr ähnlicher Weise meldeten sich in den letzten zwei Tagen dann auch einige AfD-Länderchefs zu Wort: »In Köln müssen wir alles unternehmen, um die Einheit und Schlagkraft herzustellen. Alles, was das behindert, schmälert, einschränkt oder gefährdet, müssen wir ablehnen«, sagte etwa der niedersächsische Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel.
AfD-Thüringen Chef Höcke dürfte sich über so viel Schützenhilfe freuen. Ohnehin befindet er sich trotz drohenden Parteiausschlusses derzeit wieder im steilen Aufwind. Am Samstag trat er als Gast auf dem Brandenburger Landesparteitag auf und machte klar, was er von Petrys Plan einer mittelfristigen Koalitionsfähigkeit hält. »Mit einer politischen Zwergenrolle geben wir uns nicht zufrieden, weil wir wissen, dass Deutschland eine große politische Wende braucht«, so Höcke bei einer Rede in Frankfurt (Oder). Er stellte klar: »Wir wollen ein politischer Riese werden.«
Auch Pazderski, eigentlich ein erklärter Höcke-Gegner, sagte, er teile zwar Petrys Wunsch, die AfD zu einer Partei zu machen, »die koalitionsfähig und auch regierungsfähig werden will«. Er trage ihren Antrag aber nicht mit, »weil er nicht nur festhält, wie sich die Partei ausrichten soll, sondern auch eine Abgrenzung von einem Teil der AfD darstellt«. Bei jenen, von den sich Petry abgrenzen will, handelt es sich im wesentlichen um die Anhänger der »Patriotischen Plattform«. Etwa ein Drittel der Parteianhängerschaft soll sich dem völkisch-nationalistischen Zusammenschlusses zugehörig fühlen. Eine Basis, auf welche die Rechtsaußenpartei kaum verzichten kann und wird.
Doch anstatt bei dieser Gemengelage den geordneten Rückzug anzutreten, legte Petry nun offenbar mit einem weiteren Antrag noch einmal nach. Wie die »Freie Presse« am Samstag berichtete, will die Vorsitzende in Köln das AfD-Grundsatzprogramm um einen Passus erweitern lassen. Darin heißt es, in der Partei hätten »rassistische, antisemitische, völkische und nationalistische Ideologien kein Platz«. Deshalb solle das Grundsatzprogramm um folgenden Satz ergänzt werden: »Das Bekenntnis zur deutschen Leitkultur ist verbunden mit der Erkenntnis, dass im Hinblick auf die Kulturleistungen anderer Völker kein Anlass besteht, den nationalen Gedanken zu überhöhen.«
Was im ersten Augenblick wie eine Abkehr der bisherigen AfD-Linie klingt, ist streng genommen keine Kursänderung. Im Wesentlichen sagt die Ergänzung nur aus, was innerhalb der europäischen Neuen Rechten ohnehin fast Konsens ist, weil es eben nicht sofort nach brauner Nazi-Ideologie riecht. Petry will die AfD lediglich auf das Konzept des Ethnopluralismus einschwören, wonach jedem »Volk« sein eigener Raum zustehe. Wer dann allerdings nicht in die Vorstellung einer imaginären »deutschen Leitkultur« passt, wird es auch weiterhin mit der AfD schwer haben. Verheiratete schwule Schwarze oder zwei muslimische Mütter mit einem Kind hätten in dieser »Leitkultur« weiterhin keinen Platz. Um solche Fragen geht es bei dem Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht: Vielmehr ist er nur ein weiteres Werkzeug Petrys im sich immer weiter zuspitzenden Machtkampf.
Wie dieser letztlich endet, wird sich endgültig erst in Köln zeigen. Noch komplizierter wird die Angelegenheit, weil der einflussreiche Parteivize Alexander Gauland in der FAZ am Samstag noch einmal klarstellte, endgültig nicht für eine Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl zur Verfügung zu stehen. »Ich kandidiere nicht gegen sie«, sagte Gauland an die Adresse Petrys gerichtet. Er werde nichts tun, womit er der Gesamtpartei Schaden zufüge. Vom Tisch wäre damit allerdings auch der ursprüngliche Plan, Gauland und die Parteichefin könnten die AfD zusammen mit zwei noch zu benennenden westdeutschen Funktionären in den Wahlkampf führen. Ob weiter an einem Team festgehalten wird oder der Parteitag sich für eine Alternative entscheidet, wird sich zeigen.
Petry indes lässt sich nicht beirren und scharrt trotz heftigen Gegenwinds aus der Führungsebene weiter mögliche Unterstützer um sich. Auf einer Website können sich weiterhin jene Parteimitglieder melden, die ihren »Sachantrag zur politischen Ausrichtung der AfD« unterstützen. Nach letztem bekannten Sachstand vom Freitag sollen 350 Mitglieder den Antrag unterstützen, darunter eine nicht näher genannte Zahl von Delegierten. Für einen Entscheidung im Machtkampf dürfte das allerdings noch lange nicht reichen.
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