Massenhaft gequälte Hühnereltern
Recherchen von Tierrechtlern weisen auf gesetzliche Lücken in Geflügelställen hin
Für die Haltung von Masthähnchen und Legehennen wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Regelungen zum besseren Tierschutz durchgesetzt. Die Kennzeichnungspflicht für Eier lässt Verbrauchern zudem die Wahl zwischen mehr oder weniger Tierwohl. Bei Betrieben, die sich auf die Zucht spezialisiert haben, gilt das nicht - hier ringen Bund und Länder seit Jahren um angemessene Standards.
Die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (ARIWA) hat kürzlich eine Recherche veröffentlicht, die zeigt: In den Ställen für Elterntiere, die dazu benutzt werden, Eier zur Mastkükenproduktion zu legen, ist Tierquälerei Alltag. Auf heimlich gedrehten Bildern aus fünf Elterntierbetrieben der WIMEX GmbH, Europas größtem Anbieter von Masthuhnküken, sind kranke, kahle Hühner mit großen blutenden Wunden zu sehen, dazwischen liegen tote Tiere. Zudem wird das Futterband nur eine Stunde am Tag eingeschaltet, die Tiere leiden über 23 Stunden Hunger. Auch Wasser ist nicht durchgehend verfügbar, wie die Aufnahmen zeigen.
»Restriktive Fütterung« nennen das die Tierhalter und begründen diese mit der genetischen Beschaffenheit der Tiere. Die Eltern der Masthühner sind auf unnatürliches Fleischwachstum gezüchtet. Dürften sie ihren Hunger stillen, würden sie stark übergewichtig, ihre Reproduktionsleistung würde sinken »und damit der Profit der Betreiber, die durch den Nahrungsentzug viele tausend Euro Futterkosten sparen«, so ARIWA.
Laut den Tierschützern sind die Aufnahmen aus Sachsen-Anhalt kein Einzelfall. Millionen Elterntiere in Deutschland legen jährlich über 600 Millionen Eier. In Brütereien schlüpfen daraus Küken, die für Hühnerfleisch gemästet werden. Hühner und Hähne werden hier für die Befruchtung zusammengehalten, immer wieder springen die Hähne auf die Hennen und fügen ihnen schmerzhafte, blutende Wunden zu. Krankenbuchten, in denen verletzte und kranke Tiere separiert werden könnten, gibt es laut der Tierrechtsorganisation in den Anlagen nicht.
Nach etwa 14 Monaten werden die Tiere getötet - dann nimmt ihre Legeleistung ab. Jede sechste Henne und jeder dritte Hahn verenden laut ARIWA jedoch vorzeitig. Die Aufnahmen zeigen, dass manche Tiere aktiv getötet werden, indem ihnen einfach der Hals umgedreht wird, statt die für die Tötung vorgeschriebenen und laut Aufnahmen auch vorhandenen »Betäubungsschlagstöcke« zu nutzen.
»Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher haben sicher noch nie etwas von der Elterntierhaltung gehört. Das Leid dieser Tiere steckt zusätzlich in jedem Chicken-Nugget«, kritisiert Sandra Franz, Pressesprecherin von ARIWA. Und plädiert stattdessen für eine rein pflanzliche Ernährung sowie eine nachhaltige, bio-vegane Landwirtschaft.
Doch wie ist es in dieser Frage um Ökohöfe bestellt? Auf Geflügel aus ökologischer Landwirtschaft zurückzugreifen, mache keinen Unterschied, schreibt der »Spiegel«, dem das Videomaterial zuerst zugespielt wurde. Denn auch Ökohöfe griffen auf konventionelle Elternbetriebe zurück.
Eine Darstellung, der der Bund für Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auf »nd«-Anfrage widerspricht. Bei Masthähnchen verwende die Branche fast vollständig Küken aus ökologischer Elterntierhaltung. Auch bei der Legehennenhaltung sei die Branche im Umbruch. »Hier sind zahlreiche Elternherden aufgestallt worden, so dass die Ökobetriebe sich weitgehend mit Küken aus Biobetrieben versorgen können«, erklärt BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig.
Tatsächlich gibt es in der EU-Ökoverordnung von 1999 keine gesonderte Regelung. Daher fordert auch der BÖLW, »spezielle Regelungen für die Haltung von Junggeflügel und Elterntieren zu ergänzen und damit die Voraussetzung für europaweit einheitliche Regelungen zu schaffen«. Wenn nicht genügend Öko-Küken verfügbar seien, bräuchten Betriebe eine Ausnahmegenehmigung, um auf konventionell aufgezogene Küken zurückgreifen zu können.
In den Bundesländern gibt es derzeit unterschiedliche Regeln zur Elterntierhaltung und zum Einsatz von Bio-Küken. Demnach schlüpfen bei rund 53 000 Elterntieren für die ökologische Legehennenhaltung rund fünf Millionen weibliche Küken. Bei rund 4,5 Millionen gehaltenen Bio-Legehennen in Deutschland seien damit »ausreichend Bio-Küken verfügbar«, heißt es etwa im Erlass aus Mecklenburg-Vorpommern im Juli 2016. Auch Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben eine entsprechende Regelung verfügt.
Der BÖLW fordert darüber hinaus EU-weit mit einer Übergangsfrist, dass alle Öko-Hühner von öko-gehaltenen Eltern abstammen müssen. Doch die laufende Revision der EU-Ökoverordnung wird angesichts der unterschiedlichen Positionen in den Mitgliedstaaten wohl noch auf sich warten lassen.
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