Streng geregelter Spaß in Saudi Arabien

Ruf nach Veränderung wird immer lauter - allein brutale Unterdrückung wirkt nicht mehr

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Parkhaus hören ein paar junge Männer in der arktischen Kühle eines Mercedes, wie üblich das ganz große Modell, westliche Hits von Madonna und U2; misstrauisch folgen die Blicke den Fremden: Denn in diesem Land muss man stets auf der Hut vor der Religionspolizei, Mutawwa genannt, sein. Auch wenn die Parkhäuser, die dunklen Seitenstraßen einen gewissen Schutz bieten, wenn man etwas Verbotenes tut. Und Madonna ist nach Lesart der Sittenwächter sehr verboten. »Ihre Musik würde unsere Jugend verderben«, sagt ein Sprecher der Mutawwa in Riad; seine Kollegen arbeiteten »ständig hart daran, Schaden von unserem Volk abzuwenden.«

Seit einiger Zeit ist der Job seiner Behörde noch etwas härter geworden. Denn der stellvertretende Kronprinz Mohammed Bin Salman hat eine Art »Spaß-Offensive« ausgerufen: Auf seine Initiative hin soll außerhalb von Riad ein riesiger Vergnügungspark nach westlichem Vorbild samt Hotels entstehen. Schon im vergangenen Herbst tourte eine Tanzrevue durch Riad und die Hafenstadt Dschidda. Außerdem wurden westliche Monster-Trucks zu einer Vorführung herangeschafft.

Und im Februar wurde in Dschidda sogar eine Comic-Convention abgehalten, zu der man natürlich auch als Superman verkleidet erscheinen durfte. Und ach ja, Saudi-Arabien wäre nicht Saudi-Arabien, wenn man sich nicht auch gleich noch ein Skigebiet leisten würde; in einer Halle. Mitten in der Wüste.

Mit dem Bau eines riesigen Vergnügungsparks, nach saudischen Wünschen soll es gar der größte weltweit werden, sollen die Bürger künftig auch das ganze Jahr über Spaß haben dürfen – oder das, was die Regierung darunter versteht. Denn ganz gleich ob Comic-Convention, Monster-Trucks oder Vergnügungspark: die Vorgaben sind streng. Frauen dürfen nicht »unzüchtig« erscheinen, wenn Männer anwesend sind. Das bedeutet, dass weder Figur, noch Nagellack oder Schminke erkennbar sein darf; in Anwesenheit von Männern darf auch kein Sport getrieben werden. Bei Vorführungen ist das Publikum strikt nach Geschlechtern getrennt. Und bei musikalischen Darbietungen wird streng darauf geachtet, dass Texte und Darbietung den Vorstellungen von Zensurbehörde und Religionspolizei entsprechen.

Und so brauchte man Monate, um zwei Konzerte der saudischen Sänger Mohammad Abdu und Rabeh Sager sowie des irakischen Sängers Madschid al Muhandis zu planen. »Jede Textzeile wurde genau geprüft; alles musste patriotisch und islamisch sein«, sagt al Muhandis; »Mir wurde gesagt, ich solle mich auf der Bühne nicht zu schnell bewegen.«

Dennoch gingen die gut 10.000 ausschließlich männlichen Zuschauer beim bislang letzten Konzert mit, obwohl ein Moderator immer wieder dazu aufforderte, die Menge möge »respektvoll« bleiben.

»Wie die meisten mag ich eher westliche Musik«, sagt einer der jungen Männer aus dem Parkhaus, in einer Konzertpause: »Aber wir sind froh, wenn wir mal aus dem Auto rauskommen, und was erleben.«

Wie die meisten anderen jungen Saudis verbringt er sehr viel Zeit im Internet, und in den Ferien fliegt er mit Freunden nach Ägypten. »Unser Gesellschaftskonzept hat funktioniert, solange es das Internet nicht gab,« sagt Vize-Kronprinz Mohammed Bin Salman: »Die Menschen wollen bestimmte Annehmlichkeiten, und wir müssen ihnen das anbieten.« Denn der Ruf nach Veränderung wird in Saudi-Arabien immer lauter, und bislang reagiert man darauf mit brutaler Unterdrückung: Auspeitschung von Bloggern und Homosexuellen, der Hinrichtung von Konsumenten von Alkohol und Marihuana. Doch die internationale Kritik an den drastischen Strafen ist immens, und unter jungen Saudis wird mittlerweile offen Kritik an der Scharia und an der extrem puritanischen Auslegung des Korans geäußert. Sehr beliebt ist indes der Vize-Kronprinz.

Allerdings nicht überall: Abd al Asis bin Abdullah al asch Schaich, Chef der Mutawwa mahnte in der vergangenen Woche, die Lehre des Propheten sei verbindlich; mehrere Imame eröffneten eigens Twitter-Konten, um der Jugend mitzuteilen, Konzertbesuche und Comic-Messen seien »eine Schande«, »eine Perversion«. Die Regierung reagierte darauf auf traditionelle Art: Sie ließ die Imame verhören, sorgte dafür, dass die Tweets gelöscht wurden. Denn bei Kritik versteht man keinen Spaß.

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