Spendenaktion für Mainzer Obdachlosen
5000 Euro Spenden nach Aufruf in sozialen Medien
Andrzej W., genannt Andreas, lebt seit Jahren in Mainz auf der Straße. Der 39-Jährige hat erlebt, wie ihn Menschen im Schlaf bespuckten, schlugen, mit Steinen bewarfen. Eine etwa acht Zentimeter große Narbe an seinem Hals sei die Folge eines Angriffs mit einer kaputten Glasflasche, erzählt er. In diesen Tagen aber lächelt Andreas W. oft, auch wenn er dabei wegen seiner fehlenden Zähne den Mund gern geschlossen hält. Der Grund: Hunderte Menschen folgten einem Spendenaufruf für den 39-Jährigen über soziale Medien. Auf einem Spendenkonto sind mittlerweile mehr als 5000 Euro eingegangen. Andreas W. trägt nun ein neues Hemd, Pullover, Schuhe.
Er hat einen Stellplatz für seine Habseligkeiten gefunden. Spender wollen ihm alles Mögliche schicken - von Essen über Besteck und Kleidung. Jemand bietet an, seinen Zahnersatz zu übernehmen, andere wollen beim Umzug helfen - wenn er irgendwann eine Wohnung hat. Ein Garten- und Landschaftsbaubetrieb im hessischen Rüsselheim hat ihm sogar einen Job angeboten. »Das alles war eine große Überraschung«, sagt Andreas W. über die Aktion.
Ins Rollen gebracht hat Dennis Zepter aus Appenheim die Aktion, die unter dem Hashtag hilfefuerandreas läuft. Die beiden haben sich im Krankenhaus kennengelernt. Zepter war dort mit einer Niereninfektion, Andreas W. wegen seiner kaputten Bauchspeicheldrüse in Behandlung. »Wir haben ferngesehen, geredet und uns angefreundet. Danach habe ich überlegt, was ich für ihn tun kann«, sagt Zepter. Er teilt die Geschichte des Obdachlosen über die Studenten-App Jodel. Innerhalb weniger Tage gibt es Hunderte Kommentare, oft mit konkreten Hilfsangeboten. Zepter richtete eine Facebook-Seite ein, der nun mehr als 2000 Menschen folgen. Und eine Seite, auf der gespendet werden kann.
Der Sozialmediziner Gerhard Trabert kennt Andreas W. seit Jahren. »Es ist schön, wenn sich jemand so engagiert«, sagt Trabert über den Einsatz Zepters. »Ob das nachhaltig ist? Das wäre Herrn W. zu wünschen. Aber es bedarf einer längeren Begleitung.« Vor allem brauche es strukturelle Veränderungen. Menschen wie Andreas W., die aus Osteuropa kommen und in Deutschland keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen, haben meist auch keine Versorgungsansprüche. Das heißt: Keine Krankenversicherung, keine Sozialhilfe. Die Kosten für die Behandlungen und Medikamente von Andreas W. trägt unter anderem der Verein Armut und Gesundheit in Deutschland, dessen Vorsitzender Trabert ist. Es könne nicht sein, dass Menschen mit Spenden gerettet werden müssten, sagt Trabert. »Wir sind hilflos, frustriert, wütend, denn diese Menschen fallen immer hinten runter.«
Andreas W. kommt aus Walbrzych in Polen. Vor einigen Jahren war er noch einmal dort, arbeitete auf dem Bau. Doch nach Abzug der Kosten für Medikamente, Miete, Strom sei ihm kaum ein Euro geblieben, sagt er. »Das ist kein Leben.« Seine Ex-Frau und seine 13-jährige Tochter lebten weiter in Polen. Wenn er eine Wohnung hätte, könne seine Tochter nach Deutschland ziehen, sagt er. »Aber so: Wo soll sie wohnen, auf der Parkbank?« Doch ohne Arbeit bekomme er keine Wohnung - und ohne Wohnung keine Arbeit.
Was derzeit durch die Social-Media-Aktion geschieht, scheint Andreas W. etwas zu überfordern. Er staunt, wie viele Menschen ihm helfen, obwohl sie ihn noch nie gesehen haben. Aber am Ende werde schon alles gut ausgehen, glaubt er. »Ich bin Optimist.« dpa/nd
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