Das Kreuz mit den sieben Jahren
Israels oberstes Gericht gibt Arabern in Ost-Jerusalem ein Stück Rechtssicherheit zurück
Es gibt ein neues Wort in der israelischen Juristen-Sprache: »einheimisch«. Die Definition: Ein Einheimischer sei, wer an einem Ort geboren wurde oder aber einen großen Teil seines Lebens an diesem Ort verbracht habe, wer nahe Angehörige an diesem Ort habe und wer nun die ernsthafte Absicht habe, diesen Ort zu seinem Lebensmittelpunkt zu machen, urteilten die Richter des Obersten Gerichtshofes in Jerusalem.
Damit wird eine Praxis des Innenministeriums beendet, die jahrelang Familien auseinandergerissen, Menschen von ihrer Heimat ferngehalten hatte. Wer im Besitz einer israelischen Aufenthaltsgenehmigung war, verlor diese, wenn er oder sie sich länger als sieben Jahre außerhalb des Landes, also der Staatsgrenzen einschließlich Ost-Jerusalems sowie der später eingemeindeten Dörfer im Westjordanland aufhielt.
Betroffen davon waren vor allem Araber, die aus Ost-Jerusalem stammen. In mindestens 14 500 Fällen hatte das Innenministerium die Aufenthaltsregel angewandt. Denn obwohl der 1967 von Israel besetzte Teil der Stadt 1980 annektiert wurde und deshalb von Israel als Teil des Staatsgebietes betrachtet wird, haben die meisten der arabischen Einwohner nur eine Aufenthaltsgenehmigung, die ihnen bis auf das Recht, an den Parlamentswahlen teilzunehmen, die gleichen Rechte wie Staatsbürgern einräumt, aber eben auch bislang durch Gesetze entzogen werden konnte. Araber, die in Israel leben, haben indes die volle israelische Staatsbürgerschaft. Eine solches Gesetz beinhaltet die erwähnte Sieben-Jahres-Regel. Eine andere erlaubt es, Personen, die als Sicherheitsrisiko gelten, die Aufenthaltsgenehmigungen zu entziehen, und sie in die Palästinensischen Autonomiegebiete abzuschieben. Von Letzterem waren vor allem Aktivisten terroristischer palästinensischer Gruppen wie der Hamas betroffen. Zudem wurden mehrfach Versuche unternommen, auch die Familien von Attentätern abzuschieben, und das selbst dann, wenn man ihnen keine Tatbeteiligung nachweisen konnte. Letzteres scheiterte allerdings stets am Widerstand des Obersten Gerichtshofes, der anmahnte, Vergeltung und Abschreckung seien nicht mit Sicherheitsrisiken gleichzusetzen.
Nun hat der Oberste Gerichtshof nachgelegt: Wenn jemand eine starke Bindung an einen Ort habe, dann sei das etwas anderes, als wenn jemand aus dem Ausland eine Aufenthaltsgenehmigung erhalte, konterte man das Argument der Regierung, dass auch Juden, die eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, diese verlieren, wenn sie das Land für mehr als sieben Jahre verlassen. Einer der Richter verwies darauf, dass das Innenministerium bei Arabern anders als bei Juden Anträge auf eine erneute Aufenthaltsgenehmigung nahezu durchgehend ablehnte, meist nachdem man sich Jahre Zeit für die Bearbeitung genommen hatte.
Die Sieben-Jahres-Regel wurde bereits 1952 mit dem Einwanderungsgesetz festgelegt; in größerem Stil wurde sie aber erst seit 1995 angewandt, nachdem die Osloer Verträge in Kraft getreten waren. Damit sollte verhindert werden, dass eine große Zahl von Palästinensern, die ihren Lebensmittelpunkt in den damals neu geschaffenen Autonomiegebieten haben, israelische Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Später wurde dann ein politisches Instrument daraus. Rechte Parteien forderten, die arabische Bevölkerung zu verringern, um die Zahl der jüdischen Einwohner Ost-Jerusalems zu erhöhen. 2008 allein wurden so mehr als 4700 Aufenthaltsgenehmigungen entzogen.
Gleichzeitig haben in den vergangenen Jahren aber auch Tausende die israelische Staatsbürgerschaft beantragt, denn während die Jerusalem-Frage ein Dauerbrenner in Friedensverhandlungen ist, diskutieren viele Ost-Jerusalemer darüber, in welchem Land sie leben wollen. Die israelische Staatsbürgerschaft bietet dabei bis zu einer Entscheidung die nötige Freiheit, überall zu leben.
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