»Das billige Volk«
Ronald Carhuas erfüllt sich in Lima einen Traum: Haute Cuisine im Armenviertel
Villa María del Triunfo - der Name hört sich fast wie eine Oper an, es klingt in den Ohren. Doch es ist ein Ort, den viele verlassen möchten. Ein Ort der Schattenseiten des Lebens: ärmliche Häuschen, streunende Hunde, viel Müll. Das andere Lima, nicht das glänzende des Stadtteils Miraflores am Pazifik. Ausgerechnet hier in der peruanischen Hauptstadt verwirklicht Ronald Carhuas gerade seinen Traum, der viel erzählt vom »neuen Peru«, vom Aufbruch, der sich schmecken und trinken lässt.
Hier gibt es die üblichen Straßenimbisse, Fleischspieße minderer Qualität, gegrilltes Hähnchen, labberige Hamburger. An der Avenida 26 de Noviembre, Nr. 1764, liegt unscheinbar ein Laden, der aussieht wie die Schnellimbisse hier. »El Populacho«. Zu deutsch: »Der Pöbel« oder »Das billige Volk«. Eine feine Ironie. Hier wird gehobene Küche zu günstigen Preisen angeboten, ebenso Weine, ungefähr zur Hälfte des Preises im Vergleich zu den gehobeneren Restaurants.
Die Vision: Zugänge zu sonst verschlossenen Welten schaffen - es ist ein eher antikommerzielles Projekt. »Es sind Etappen«, sagt der 31-Jährige vorsichtig. Die ersten Monate hat er kaum eine Flasche Wein verkauft, hier trinkt man sonst nur Bier. Und das Geld fehlt. Daher hat er angefangen, die eine oder andere Copa (ein Glas) zu verschenken.
Die Menschen, die hier wohnen, könnten eigentlich nie teilhaben an der kulinarischen Revolution, die sich 15 Kilometer weiter abspielt. Von den 2016 ausgewählten 50 besten Restaurants in Lateinamerika befinden sich neun (!) in Lima. Und da kommt wieder die Geschichte von Ronald ins Spiel. Er ist tagsüber in einer anderen Welt tätig. Er will das, was Lima seit Jahren berühmt macht, hierhin bringen, eben jene kulinarische Revolution. Als Autodidakt hat er sich über mehrere Restaurants und eine Sommelierschule in Buenos Aires hochgearbeitet zum Chefsommelier im »Central«, dem besten Restaurant Lateinamerikas, geführt von Starkoch Virgílio Martínez. Hier verkauft er schon mal einen Château Lafite für 2800 Soles, rund 785 Euro.
Der offizielle Mindestlohn in Peru beträgt 850 Soles im Monat (etwa 240 Euro), in Villa María del Triunfo verdienen viele nicht einmal das. Im »Populacho« gibt es nur fünf Tische, Koch Juan Albornoz ruft Ronald herbei. Der wohnt oben drüber und ist gerade zum ersten Mal Vater geworden. Seine Freundin Betsi ist die Schwester des Kochs - sie macht hier sonst feine Desserts, zu dritt sind sie die Besitzer dieses recht einmaligen Haute Cuisine/Volksküchen-Start-ups.
»In der Schule wurde ich als Cholo beschimpft«, erzählt Ronald beim Essen im »Populacho« - serviert wird nur Fisch, frisch vom Markt. Das Ceviche ist ein Genuss: roher Fisch in Limettensaft, mit Chili, Süßkartoffeln und geröstetem Mais. »Cholo« ist ein Schimpfwort für indigen aussehende Peruaner. Während besser betuchte Mitschüler dicke Sandwiches verspeisten, musste er damals Quinoakörner essen. Auch so eine Ironie: das »Inka-Korn« ist längst kein Arme-Leute-Essen mehr, sondern weltweit im Trend und in Spitzenrestaurants gefragt.
Sein Vater war Busfahrer, als Kind fuhr er mit ihm die Panamericana rauf und runter, von Chile bis Ecuador. Die Gerüche der Imbisse, wo der Bus Pause machte, hat er bis heute in der Nase. »Man darf es nicht als Arbeit sehen, sondern das ist eine Lebensform«, sagt er über seinen Sommelierberuf, während er einen australischen Riesling einschenkt. Nicht in ein Weinglas, sondern in ein Marmeladenglas, noch so ein Zeichen: Hier isst und trinkt das Volk. »Wir wollen zeigen, es ist ein Getränk für alle, nicht nur eins der reichen Elite.«
Bald wird er erstmals in Deutschland sein, bei der Weinbörse in Mainz (23./24.4.), da will er auch für das »Populacho« Weine finden. Durch das Beispiel wollen sie Leute aus Villa María ermuntern, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, Kochschulen in Lima können sich vor Anfragen kaum noch retten. Ronalds Leitspruch: »Es ist egal, wo Du herkommst; wichtig ist, wo Du hinwillst.«
Koch Juan (26) setzt weniger auf Experimentelles, kreiert wunderbare Fischgerichte. Klar, finanziell sei das nicht sehr sinnvoll, aber mittlerweile kommen paradoxerweise sogar aus Miraflores Gäste. In eine Welt, mit der sie sonst nichts zu tun haben. Mit dem Optimismus stehen die Chefs des »Populacho« auch für die unter jungen Leuten spürbare Aufbruchstimmung. »Wir sind auch Träumer«, meint Ronald. dpa/nd
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