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Torkelnde Monde

Die Julia Stoschek Collection zeigt mit »Jaguars and Electric Eels« eine breite Auswahl an Videokunst

  • Richard Rabensaat
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit pechschwarzen Haaren, sorgfältig geschminkt und elegant gekleidet empfängt Julia Stoschek mit gewinnendem Lächeln und dunkel geschminkten Augen die Besucher der Ausstellung »Jaguars and Electric Eels« bei der Vernissage. Die Sammlerin und Kuratorin ist sichtlich bemüht, jeden persönlich in der Ausstellung zu begrüßen, aber das ist nicht so einfach. »Wir haben heute schon 2000 Besucher gezählt«, sagt die Ausstellungsleiterin Monika Kerkmann, als der Eröffnungsabend noch lange nicht vorbei ist. Die immerhin 2500 Quadratmeter großen Räumlichkeiten sind bestens besucht. Zu Recht - auch wenn von der Eröffnungs-Performance der Ausstellung nur noch der schneeweiße Sand, die wummernden Lautsprecher und die beschmierten Plexiglaswände geblieben sind.

Mehrere Stunden lang hatten zwei nackte junge Frauen zu tief grummelnden Basstönen Farbe auf ihre schönen Körper appliziert. Was zunächst recht sinnfrei anmutet, wirkt durch den bedächtigen Rhythmus der beiden Frauen anziehend, hat aber auch eine tiefere Bedeutung. Denn es sind Latex, Kosmetika und allerlei Farbsubstanzen der Verschönerungsindustrie, die sich über die wohlgeformten Körper ergießen. Körper, Haut, die Interaktion des Körpers als äußerer Hülle des Menschseins ist das Thema der Künstlerin Donna Huanca. Meist mit Performances, aber auch mit Videoinstallationen und gemalten und fotografierten Bildern leuchtet sie das Spektrum der Physis der menschlichen Erscheinung aus.

Im Ausstellungsraum an der Leipziger Straße hat die »Julia Stoschek Foundation e.V.« ein beeindruckendes Aufgebot von hochkarätiger Videokunst versammelt. Bis Ende November ist die aktuelle Schau zu sehen. Mitte 2016 hat die Sammlerin die Ausstellungsräume im ehemaligen tschechischen Kulturzentrum der DDR eröffnet. Eigentlich ist die Sammlung seit 2007 in Düsseldorf beheimatet, aber die wuchernde Kunstszene der boomenden Hauptstadt ließ sich von der profilierten Kunstliebhaberin nicht länger ignorieren. Die konzentrierte, langfristige und sehr hochkarätige Präsentation der Vielzahl von Videoarbeiten in Berlin und Düsseldorf ist wohl auch weltweit eine Besonderheit. Zwar präsentieren der Galerist Olaf Stüber und der Sammler Ivo Wessel seit Jahren »Videoart at Midnight« im Kino Babylon. Aber die flimmernde Kunst auf der Leinwand führt ein Nischendasein. Nicht ganz zu Unrecht allerdings. Denn eine Vielzahl auch der Filme und Videos in der Stoschek Collection erschließt sich dem Zuschauer erst nach einer Sichtung des schön gestalteten Ausstellungsheftes, das der Besucher zusammen mit der Eintrittskarte erhält.

Ihren poetisch anmutenden Titel »Jaguare und Zitterale« verdankt die Schau einer Notiz Alexander von Humboldts. Die Schriften des Wissenschaftlers und Weltreisenden beschreiben die Ergebnisse seiner Expeditionen ins noch unerschlossene Mittel- und Südamerika und boten bei ihrer Veröffentlichung 1853 eine neue Sicht auf Natur und Ökologie. Daher lenkt die Ausstellung mit 39 Werken von 30 Künstlern den Blick auch auf »alternative Deutung von Anthropologie und Zoologie«, wie Monika Kerkmann im Katalog formuliert.

Was allerdings an dem schwarzen Hund bedeutend ist, der im Dauerloop über die Riesenwand im Schaufensterraum zur Leipziger Straße hin läuft, versucht der Katalogtext zu erklären. Von Elaine Sturtevant stammt das Video. Die 2014 verstorbene amerikanische Künstlerin bewegte sich im Umfeld von Andy Warhol. Mit der Aneignung, Umarbeitung und Wiederholung von Arbeiten anderer Medien und Künstler traf sie den Nerv des Zeitgeistes, den auch der strukturalistische Philosoph Gilles Deleuze in seiner Schrift »Differenz und Wiederholung« beschrieben hatte.

Es sei eine »an sich wenig spektakuläre Sequenz eines rennenden Hundes« zu sehen, schreibt die Katalogautorin Anke Volkmer. Aber diese erzeuge immerhin ein Schwindelgefühl und eine Orientierungslosigkeit, die der modernen Medienwelt entspreche und genau so von der recht bekannten Künstlerin beabsichtigt sei.

Weniger spektakulär - aber um so stimmiger - bewegen sich die Halme und der Mond der deutschen Videokünstlerin Heike Baranowsky. Auf einem eher kleinen Videoschirm zeigt Baranowsky: Gras. Kein Rasenstück, sondern Halme, die, von diffusem Licht beschienen, sich im Wind wiegen. Dass es sich um einen nur wenige Minuten langen Loop handelt, fällt dem Betrachter nicht unmittelbar auf, weil die Sequenz geschickt geschnitten ist.

Eine Grasnabe war auch schon Albrecht Dürer als lohnendes Studienobjekt erschienen und auf diesen bezieht sich Baranowsky offensichtlich. Nicht aus naturwissenschaftlichem Interesse wie bei dem deutschen Altmeister, sondern wegen des meditativen Moments, das den sich sanft bewegenden Pflanzenteilen innewohnt. Auch der Mond, der bei einer weiteren Installation von Baranowsky auf unsteter Bahn über eine Wandfläche torkelt, erscheint trotz seiner sonderbaren Bewegung sehr beschaulich. Und so verbindet sich in der Ausstellung die Suche nach der Erkenntnis der Natur Alexander von Humboldts schlüssig mit dem unspektakulären Pathos der Romantik.

»Jaguars and Electric Eels«, bis zum 26. November in der Julia Stoschek Collection. Leipziger Straße 60, Mitte

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