Denkt, indem ihr malt!
Der philosophische Künstler René Magritte zeigt sich in der Frankfurter Schirn in neuem Licht
In René Magrittes Welt ist nichts so, wie es scheint. Eines seiner bekanntesten Bilder, dem wohl jeder schon einmal begegnet ist, zeigt eine Pfeife. Es trägt den Titel »Das ist keine Pfeife« (1935). Ein anderes verspricht »Die Reize der Landschaft«, wobei der Betrachter lediglich durch einen leeren Holzrahmen hindurch auf eine schwarze Wand blickt. Während manch einer geneigt sein könnte, hinter solchen Kunstwerken nur den Schalk des Nonsens zu vermuten, verkennt die durchaus ernste Philosophie dahinter, wie die eindrucksvolle Einzelausstellung »Magritte. Der Verrat der Bilder« belegt, die derzeit in der Frankfurter Schirn zu bewundern ist.
Denn der 1898 geborene belgische Surrealist wollte genau das erreichen, was die Intellektuellen der Kunst gemeinhin so gern absprechen: Denken, Reflektieren und Infragestellen. Dass Magrittes durchweg ironisches Werk intensiv vom Poststrukturalismus geprägt wurde, erklärt sich nicht nur aus seinem intensiven Briefwechsel mit dem französischen Denker Michel Foucault, sondern gleichsam aus seinen Bildern selbst. Indem er etwa ein Gemälde mit einem Schlüssel in einem Schlüsselloch mit »Das Lächeln des Teufels« (1966) überschreibt, macht er deutlich, dass Begriffe niemals das Wesen der Dinge erfassen. Sie sind schlussendlich beliebiger Natur und stets künstlich gewählt. So funktioniert Sprachkritik in der Malerei: plastisch und humorvoll.
Was mit der kritischen Beleuchtung unseres Sprach- und Bezeichnungssystems beginnt, wächst sich im Laufe des Schaffens des Künstlers zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit unserer Wahrnehmungsfähigkeit grundsätzlich aus. In »So lebt der Mensch« von 1948 blickt der Betrachter durch eine Höhle hinaus auf eine Leinwand. Als wäre sie aus Glas, sehen wir darin auf einen sich stimmig in die übrige Berglandschaft einfügenden Ausschnitt mit zwei Burgtürmen, während auf der linken Seite innerhalb der Höhle ein Feuer flackert. Der Bezugspunkt jenes Werks kommt einem unmittelbar ins Bewusstsein: Platons Höhlengleichnis, das von Menschen erzählt, die in einem finsteren Erdraum nur die durch eine Feuerquelle im Hintergrund erzeugten Schatten von draußen sehen können. Die echte Welt außerhalb bleibt ihnen hingegen verschlossen. Sie leben in einer dauerhaften Verblendung, nehmen die Illusion als wahr hin. Und geht es uns nicht auch so mit diesem Bild? Schauen wir durch den Keilrahmen auf der Staffelei hindurch oder ist es nicht doch möglich, dass das Bild einfach eine perfekte Kopie der Wirklichkeit darstellt?
Nichts erweist sich mehr als truglos oder gar als allgültige Gewissheit! Wer bei Platon allerdings der Höhle zu entfliehen vermag, der trifft auf einen Kosmos voller Farben. In den vierziger Jahren sprühen Magrittes Werke daher nur so vor Buntheit. Eine nackte Frau malt er in »Die Ernte« (1943) in gleich sechs Farben.
Das vermeintlich Wahre stellt sich somit immer auch als eine Imagination dar. Stets treffen wir in Magrittes Werken auf Spiegel und Projektionen, und nicht zuletzt auf rote Vorhänge, die klar zum Ausdruck bringen, dass nichts frei von Inszenierung ist, dass das Dasein immer aus Zeichen und Bedeutung, Vorder- und Hintergrund besteht. Eindrucksvoll zeigt dies sein Gemälde »Die Erinnerungen eines Heiligen« (1960). Zu sehen ist ein blauer Himmel mit weißen Wolken über dem Meer - jedoch nicht als reales Setting, sondern als Innenseite einer zylindrisch gebogenen Oberfläche, deren Äußeres einen roten Vorhang zeigt. Die Welt als Ausschnitt, erfahrbar durch die Kunst.
Sie ist Trägerin des Schönen - wenn auch nicht in ungebrochener Gestalt. Was als schön gilt, kann dem Maler zufolge nie in einem harmonischen Ganzen auftreten. Kein Körper erfüllt alle Ideale, weswegen er gerade als Fragment wirkt. Dass Schönheit, wie im Übrigen auch Adorno oder Gadamer sinngemäß argumentieren, insbesondere dort vorkommt, wo sich Risse und Unfertigkeiten, ja, Wunden auftun, liest sich an Magrittes beeindruckendem Werk »Die ewige Evidenz« (1948) ab. Eine Frau wird sogleich in fünf Teile zerlegt: Der Kopf, frontal blickend, die Brüste, den Schambereich, Oberschenkel und Füße - alle Einzelteile jeweils in goldene Rahmen eingefasst. Auch die Vorliebe des Malers für Torsi nach dem Vorbild der Antike mag wohl von da herrühren.
Um dieses vielschichtige Œuvre zu dokumentieren, hat der Kurator der Ausstellung Didier Ottinger bewusst auf Alleinstellungsmerkmale Magrittes gesetzt. Zwar werden wir seiner auch als Surrealisten gewahr. Dennoch nicht im klassischen oder erwartbaren Sinne. Wie etwa auch der hervorragende Katalog zur Ausstellung darlegt, waren Freud und die Psychoanalyse etwa nicht besonders zentral für den Belgier. Statt um diffuse Traumkulturen ging es ihm um die Möglichkeit, durch Kunst das Denken anzuregen und Bewusstseinsinhalte gezielt zu erzeugen oder zu vernetzen.
Magritte war mehr Planer und Intellektueller als Eingebungsmaler oder Musengenie. Indem er Über- und Scheinrealitäten erfand und mit logischen Konventionen unentwegt brach, gelang es ihm, Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen. Seine wichtigsten Mittel: Genauigkeit im Blick sowie Präzision im Duktus und in der Farbwahl. Nur so kommt er dem Echten so nah, dass man die Imitation beinahe als Original begreifen könnte. René Magritte erweist sich somit als ein Magier und Illusionist, bei dem Verwandlung und Verschiebung Programm sind. »Verrat der Bilder« meint nicht zuletzt auch einen Verrat unserer Seh- und Denkgewohnheiten. In dieser großartigen Werkschau werden sie zumindest erneut auf die Probe gestellt.
»René Magritte: Der Verrat der Bilder«, bis zum 5. Juni in der Kunsthalle Schirn, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main
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