Psychotischer Grenzgang

Freitags Wochentipp: »Im Tunnel«, ZDF

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein einziges Kommen und Gehen dieser Tage am Bildschirm. In den USA wird Bill O’Reilly, das erzkonservative Sturmgewehr des trumphörigen Pseudonachrichtensenders Fox, wegen sexuellen Missbrauchs diverser Kolleginnen entlassen, leider jedoch nicht durch einen Journalisten, sondern durch die faschistoide Sturmhaubitze Tucker Carlson ersetzt, der Donald Trump tendenziell für kommunistisch hält.

In Deutschland hingegen kehrt der vom Vorwurf der Vergewaltigung entlastete Wetterfrosch Jörg Kachelmann am 4. Mai dank sonnenklar.tv auf den Bildschirm zurück, während Fritz Wepper, über dessen Liebesleben nichts Negativeres bekannt ist als seine weitestgehend talentfreie Tochter Sophia, nach zehn Jahren schaler Krimikost an ihrer Seite vorigen Donnerstag die letzte Folge von »Mord in bester Gesellschaft« hinter sich gebracht hat.

Derweil kündigt die ARD an, Staffel 4 der bislang vorwiegend hervorragenden DDR-Serie »Weissensee« in Angriff zu nehmen, bei der es auch nach dem Mauerfall garantiert um reichlich Stasi-Zeugs gehen dürfte. Zugleich muss das ZDF schwer um die Champions League bangen, dessen Vergabe in der kommenden Woche neu verhandelt wird. Mit guter - und guter heißt hier ganz bewusst guter - Chance, dass die absurde Gebührenverschwendung dann endlich ein Ende hat. Das würde nicht nur dem Staatsvertrag ein bisschen besser entsprechen, sondern böte auch die Chance, sich wieder aufs Kernanliegen zu konzentrieren: Fernsehfilme zu machen etwa wie das überaus sehenswerte Drama »Im Tunnel«.

Am Montag um 20.15 Uhr stößt die erfolgreiche Architektin Maren darin scheinbar auf einen gewaltigen Skandal: Als sie ihren Bruder erschlagen auffindet, scheint er nämlich das Opfer gewissenloser Geschäftemacher geworden zu sein, die in einem Hamburger Schmugglertunnel Gift-, schlimmer noch: Atommüll entsorgen wollen. Das könnte nun im üblichen Who-dunnit öffentlich-rechtlicher Sozialkritik zur Abendunterhaltung enden, also durchaus ansehnlich, aber klischeehaft belehrende - wäre da nicht die grandiose Maria Simon als Hauptfigur.

Während sie sich nämlich fieberhaft auf die Spur der vermeintlichen Umweltverschmutzung begibt, beginnen Wirklichkeit und Wahnsinn immer mehr miteinander zu verschmelzen. Ist Maren wirklich dabei, ein Verbrechen aufzudecken? Oder spielt sich das alles nur in ihrem Kopf ab, dessen Verstand zunehmend in Frage steht? Kaum jemand könnte den verschwörungstheoretischen Grenzgang plausibler machen als die talentierte Schauspielerin aus Leipzig.

Und kaum jemand taugt besser zum realistischen Korrektiv dieser psychotischen Gratwanderung an ihrer Seite als Carlo Ljubek, der ihren hilflosen Mann Mehdi mit nüchterner Hingabe, vor allem aber mit Authentizität verkörpert. Im Duett machen sie Kai Wessels Film nach dem stimmigen Drehbuch von Astrid Ströher daher zu einer echten Ausnahme im Krimiallerlei auf Sendeplätzen wie diesem.

»Im Tunnel«, ZDF, 24. April, 20.15 Uhr

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