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Dubiose Nationale Bewegung

Bundesanwalt und Generalstaatsanwalt machen dem Verfassungsschutz Vorwürfe

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags wollte Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg nicht ausschließen, dass der brandenburgische Verfassungsschutz in einen Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam verwickelt war. Die Nationale Bewegung, von der ein Bekennerschreiben zu der Tat in der Nacht zum 8. Januar 2001 gefunden wurde, nannte Rautenberg »dubios«. Er äußerte bereits am 18. November vergangenen Jahres im NSU-Ausschuss Zweifel, ob es die Nationale Bewegung je gegeben habe.

»Sie haben uns alle verblüfft mit ihrer Aussage«, erinnerte der Ausschussvorsitzende Holger Rupprecht (SPD) am Freitag, als Rautenberg wegen der Sache extra noch einmal als Zeuge geladen war.

Der Generalstaatsanwalt wiederholte seine Vorwürfe. Rautenberg erzählte, nachdem der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich gezogen hatte, habe der damalige Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin angerufen und kritisiert, dass der Bundesanwalt aus Brandenburg auf den Fall hingewiesen wurde. Man hätte das Verfahren doch auch hier bearbeiten können, habe Wegesin geschimpft. Das sei ihm merkwürdig vorgekommen, da bei einem Anschlag auf eine jüdische Einrichtung ein Eingreifen des Bundesanwalts logisch war. Er habe, so sagte Rautenberg, die Beschwerde Wegesins noch mit einem Oberstaatsanwalt besprochen. Der habe abgewinkt: »Das ist doch nur Blödheit.«

Rautenberg rügte, dass der Verfassungsschutz eigenmächtig das Bekennerschreiben ins Internet stellte und damit die Aufklärung des Verbrechens behinderte. Hätte man bei einer Durchsuchung das Bekennerschreiben gefunden, so hätte jeder behaupten können, er habe den Text aus dem Internet. Als Beweismittel wäre der Fund wertlos gewesen, erläuterte Rautenberg. Seltsam kommt ihm auch vor, dass die Nationale Bewegung nach einer Serie von 21 Taten plötzlich nicht mehr in Erscheinung trat, nachdem der Bundesanwalt übernommen hatte.

Die Nationale Bewegung könnte eingeschüchtert gewesen sein, mutmaßte der Landtagsabgeordnete Jan Redmann (CDU). Das könnte durchaus sein, bestätigte Rautenberg. Von seinen Zweifeln an der Existenz der Nationalen Bewegung lässt er jedoch nicht ab. Dies auch, weil erfahrungsgemäß irgendwann immer irgendjemand rede. Bei der Nationalen Bewegung sei dies aber nicht so gewesen. »Das ist merkwürdig.« Dazu kommt noch, dass V-Mann Christian K. am 6. Februar 2001 telefonisch von seinem Führungsbeamten beim Verfassungsschutz vor einer Razzia in der rechten Szene gewarnt wurde, die am 17. Februar stattfinden sollte. Christian K. verriet dies dann an die rechte Szene.

Die Abgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne) wunderte sich, warum Christian K. überhaupt gewarnt wurde, da seine Wohnung gar nicht durchsucht werden sollte. Doch laut Rautenberg könnte man argumentieren, dass der V-Mann davor bewahrt werden sollte, zufällig am betreffenden Tag jemanden zu besuchen, bei dem durchsucht werden sollte - und so in die Razzia hineinzugeraten.

Zum Anschlag vom Januar 2001 befragte der Ausschuss auch Staatsanwältin Irene Stari, die damals den Tatort aufsuchte. Sie sagte aber nur Sätze wie »Das weiß ich nicht« und »Daran erinnere ich mich nicht«.

Bundesanwalt Wolfgang Siegmund erklärte anschließend, man habe die rechte Szene in Potsdam »umgepflügt«, aber keine Nationale Bewegung gefunden. »Das war erstaunlich.« Formulierungen der Nationalen Bewegung seien »lachhaft« gewesen, hätten nicht dem Sprachgebrauch der rechten Szene entsprochen. Überdies habe der Verfassungsschutz das Bekennerschreiben trotz ausdrücklicher Bitte nicht aus dem Internet entfernt. Rätselhaft war für den Bundesanwalt auch das Auftauchen des Bekennerschreibens in einer Kassette an der Trauerhalle. So hätte das Schreiben den Brand bestimmt nicht überstanden, versicherte Siegmund. Er erlebte übrigens sonst nie wieder, dass ein Geheimdienst wollte, dass die Bundesanwaltschaft einen Fall nicht übernimmt.

Die Spekulationen reichen nun von einem außer Kontrolle geratenen V-Mann in der Nationalen Bewegung, was der Verfassungsschutz habe vertuschen wollen, bis zu einem neuen Celler Loch. 1978 hatte der niedersächsische Verfassungsschutz ein Loch in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle gesprengt und so eine Befreiungsaktion der Rote Armee Fraktion (RAF) vorgetäuscht - angeblich mit dem Ziel, einen Informanten in die RAF einzuschleusen. Beweise für eine Verschwörung in Potsdam liegen aber nicht vor. Bundesanwalt Siegmund wüsste nicht, warum der Verfassungsschutz so etwas machen sollte.

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