Gabriel will Visumfreiheit für Erdogan-Kritiker
Diskussion über Umgang mit der Türkei nach dem Referendum
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel will türkischen Kritikern von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Einreise nach Deutschland erleichtern. »Warum machen wir nicht Visafreiheit für Intellektuelle, für Künstler, für Leute, die im Journalismus arbeiten«, sagte der SPD-Politiker am Freitag am Rande von Beratungen mit EU-Kollegen auf Malta. Solche Reiseerleichterungen würden für jenen Teil der Türkei gelten, »der gegen das Referendum gestimmt hat, der sich demokratisch entwickeln will«. Es gehe jetzt darum, die demokratische Türkei zu stärken.
Für Erdogan dürften Visaerleichterungen für ausgewählte Bevölkerungsgruppen eine Provokation darstellen. Er kritisiert seit Monaten, die EU setze die der Türkei im Rahmen des Flüchtlingspaktes in Aussicht gestellte Visumfreiheit nicht um. Diese soll eigentlich für alle Türken gelten.
Wie Reiseerleichterungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen konkret umgesetzt werden könnten, war zunächst nicht klar. Aus Diplomatenkreisen hieß es, es könnten zum Beispiel mehr Langzeit-Visa ausgestellt werden.
Am Donnerstagabend hatte Erdogan die EU davor gewarnt, seinen Sieg bei dem Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems anzuzweifeln. »Wir können nicht einigen Institutionen und Staaten, darunter besonders der Europäischen Union, erlauben, über die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 16. April die Demokratie unseres Landes infrage zu stellen«, sagte er. Die türkische Nation habe ihren Willen zum Ausdruck gebracht, den jeder respektieren müsse.
Die Wahlkommission veröffentlichte unterdessen das amtliche Endergebnis des Referendums, wonach das Erdogan-Lager mit 51,4 Prozent knapp gewonnen hat. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten Unregelmäßigkeiten und eine Benachteiligung der Opposition beim Referendum bemängelt. Die Opposition hatte erfolglos die Annullierung des Referendums verlangt.
Trotz wachsender Kritik an Erdogan zeichnet sich in der EU weiter keine Mehrheit für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ab. Bei dem Treffen der EU-Außenminister auf Malta sprach sich am Freitag lediglich der Österreicher Sebastian Kurz klar für ein sofortiges Ende der 2005 begonnenen Gespräche aus.
Gabriel und Vertreter anderer Staaten argumentieren dagegen, dass ein solcher Schritt mehr schaden als nützen würde. Man habe kein Interesse daran, dass die Türkei »in Richtung Russland geschoben wird«, so Gabriel. Ignorieren könne man die Entwicklungen in der Türkei aber auch nicht. »Kein Mensch glaubt, dass man einfach so weiter machen kann angesichts des Referendums, der Massenverhaftungen, der Verhaftung von Journalisten, nicht nur des deutschen Journalisten, angesichts der Ankündigung, die Todesstrafe wieder einzuführen.«
Erdogan hat wiederholt weitere Volksabstimmungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe und zum Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen durch die Türkei ins Spiel gebracht. Die »Saarbrücker Zeitung« berichtete unter Berufung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die Bundesregierung könne eine türkische Volksabstimmung in Deutschland unterbinden, die die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei zum Ziel hat. nd/dpa
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.