»Rechte Stimmungsmache«: Viel Kritik an de Maizière
Innenminister löst mit »Leitkultur«-Katalog starke Ablehnung bei Linken, Grünen und SPD hervor / Korte: »Es gilt das Grundgesetz. Da steht alles drin«
Berlin. Das hatten wir schon mehrfach: Ein CDU-Politiker will mit dem Begriff der »deutschen Leitkultur« Wahlkampf machen - und fängt sich dafür viel Kritik und noch mehr Spott ein. Nun stößt Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit seinem Zehn-Punkte-Katalog für eine »deutsche Leitkultur« auf Kritik - von der Opposition, aber auch in den eigenen Reihen. Grüne und Linkspartei warfen dem CDU-Politiker vor, mit Blick auf die Bundestagswahl im September Stimmen am rechten Rand fischen zu wollen.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von »Leitkulturbeschwörerei«. Es sei zwar richtig, sich um Zusammenhalt und Integration zu kümmern, sagte sie dem »Kölner Stadt-Anzeiger«. Das tue man aber »am besten, indem wir dabei helfen, die massiven Bedarfslücken schließen. Bei Sprachkursen, beim Zugang zu Ausbildung und Arbeit oder auch bei der Unterstützung der vielen Ehrenamtlichen, die sich immer noch unermüdlich für Geflüchtete und Integration einsetzen.«
Linksfraktionsvize Jan Korte warf de Maizière vor, mit der »tausendsten Auflage der Leitkulturdebatte« fische der Minister »mal wieder rechts« und übersehe eines: »Es gilt das Grundgesetz. Da steht alles drin.« Die Verfassung garantiere »zum Glück« viele Freiheiten. »Und es schützt davor, dass Leute wie der Innenminister festlegen und vorschreiben, wie die Kultur auszusehen hat«, so Korte. Eine Liste zu erstellen, »ab wann man deutsch ist«, sei zudem typisch für deutsche konservative Politiker und habe wenig mit der Wirklichkeit zu tun. »De Maizières CDU-Stammtisch-Blick sollte nicht der Maßstab für die Debatte sein.«
SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel nannte de Maizières Vorstoß auf Twitter »eine peinliche Inszenierung«, der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) »pure rechte Stimmungsmache«. Aus Sicht von Grünen-Chefin Simone Peter braucht Deutschland keine Debatte über eine Leitkultur, sondern »eine neue Innenpolitik, die Integration voranbringt, rechte Netzwerke prüft und islamistische Gefährder im Auge hat«, wie sie im Kurznachrichtendienst verbreitete.
»Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka«, schrieb de Maizière in einem Gastbeitrag für die »Bild am Sonntag«. In seinem ersten Punkt geht es um »soziale Gewohnheiten«: »Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.« Teil der Leitkultur sei zudem der Leistungsgedanke, erklärte de Maizière: »Wir fordern Leistung. Leistung und Qualität bringen Wohlstand.« Das Erbe der deutschen Geschichte »mit all ihren Höhen und Tiefen« gehöre ebenfalls dazu. Dies schließe ein besonderes Verhältnis zum Existenzrecht Israels mit ein.
Zur Rolle der Religion schrieb der Innenminister, sie müsse »Kitt und nicht Keil der Gesellschaft« sein. »Unser Staat ist weltanschaulich neutral, aber den Kirchen und Religionsgemeinschaften freundlich zugewandt. Kirchliche Feiertage prägen den Rhythmus unserer Jahre. Kirchtürme prägen unsere Landschaft.« Grundlage für den religiösen Frieden im Land sei aber der »unbedingte Vorrang des Rechts über alle religiösen Regeln«.
Zum Patriotismus schrieb de Maizière: »Wir sind aufgeklärte Patrioten. Ein aufgeklärter Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere. Auch wir Deutschen können es sein.« Es habe in der Vergangenheit zwar »Probleme« mit dem deutschen Patriotismus gegeben. Doch das sei vorbei. De Maizière definierte auch, was er unter »wir« versteht: »Wir - das sind zunächst einmal die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Nicht jeder, der sich für eine gewisse Zeit in unserem Land aufhält, wird Teil unseres Landes.« Stärke und innere Sicherheit der eigenen Kultur führten aber auch »zu Toleranz gegenüber anderen«. Leitkultur solle vermittelt, aber »vor allem vorgelebt werden«.
Auf Distanz zu diesen Thesen ging auch der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz. »Wir leben in einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft, in der jeder nach seiner Façon selig werden kann, solange er anderen nicht schadet«, sagte er der »Huffington Post Deutschland«. Zwar gebe es Gepflogenheiten und ungeschriebene Regeln, diese änderten sich aber im Laufe der Zeit, auch durch Migration, was ein »eher statischer Leitkultur-Begriff« nicht berücksichtige.
Kritik übte auch FDP-Chef Christian Lindner. »Ich finde, unsere Leitkultur sollte das Grundgesetz sein. Das ist offen für alle«, sagte er dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli warf de Maizière »gefährliche Stimmungmache gegen Muslime« vor. »Ich dachte, wir sind weiter«, schrieb sie auf Twitter.
Dagegen sprang der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach de Maizière bei. »Gerade vor dem Hintergrund der anhaltend starken Zuwanderung und der großen Bedeutung einer gelungenen Integration von Menschen mit Bleiberecht ist es richtig und wichtig, dass wir über das sprechen, was eine Gesellschaft zusammenhält und welche Regeln wir für ein konfliktfreies Miteinander beachten müssen.« Agenturen/nd
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