Wo Oma Angst vor dem Einhorn hatte
Niedersachsen: UNESCO ernennt Harzer Felsengewölbe bei Scharzfeld zum Geopark-Infozentrum
»Meine Oma wohnte hier in der Nähe, und sie hatte als Kind Angst, dass das Einhorn ins Dorf kommt.« So erzählt es der Großvater vor der Einhornhöhle bei Scharzfeld im niedersächsischen Kreis Göttingen seinem Enkel, dem der Besuch der Gewölbe keine Furcht mehr einflößt. Er weiß, das pferdeähnliche Tier mit dem Horn an der Stirn ist ein Fabelwesen, erfährt aber im Verlauf der Führung: Vor etwa 500 Jahre wurde in den kühlen Kammern durchaus nach Überresten der sagenhaften Kreatur gesucht.
Wirklich Bedeutsames jedoch haben Forscher erst in jüngerer Zeit entdeckt: Funde, die den Stellenwert der Höhle belegen und dazu führten, dass ihr am Dienstag offiziell der Titel »Informationszentrum des UNESCO-Geoparks Harz-Braunschweiger Land-Ostfalen« verliehen wurde.
Weltweit hat die UNESCO - die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur - 127 Regionen als Geoparks anerkannt. Sechs davon liegen in Deutschland, darunter jener, in dem die Einhornhöhle jetzt auch Infozentrum ist. Einst wurde in der Höhle, so ein Bericht aus dem Jahr 1583, nach Überresten von Einhörnern gegraben. Wohl weniger aus wissenschaftlicher, sondern eher aus pekuniärer Begierde, denn: Pulver, hergestellt aus dem zermahlenem Horn des imaginären Huftieres, galt nahezu als Allheilmittel, sogar gegen die Pest, und war dementsprechend teuer.
Was wohlhabenden Menschen alles für viel Geld als Einhornpulver angedreht wurde, bleibt offen. Bekannt ist, dass gutgläubigen Käufern unter jener Bezeichnung zermahlene Stoßzähne des Narwales eingetütet wurde. Bereits im 17. Jahrhundert aber stellte sich heraus, dass die »verdächtigen« Knochen in der Höhle bei Scharzfeld von durchaus bekannten Säugetieren stammten, etwa von Bären, Höhlenlöwen und Wölfen. Allerdings zeichnete Hannovers Universalgelehrter Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1686 nach einem Besuch der Harzer Höhle ein Einhornskelett, so wie er es sich vorstellte. Neben ihm waren viele weitere Berühmtheiten im Scharzfelder Gewölbe zu Gast, so auch Johann Wolfgang Goethe 1784 während einer Harzreise. Rund 90 Jahre später kam der Mediziner Rudolf Virchow, der sich für die früher in der Höhle lebenden Tiere interessierte.
Ihre einstige Behausung kann seit 1905 besichtigt werden. Rund 270 Meter der Höhle, von der bislang etwa 700 Meter bekannt sind, können begangen werden. Jährlich erleben rund 25 000 Besucherinnen und Besucher die Faszination dieses Touristenmagnets. Fasziniert von ihm waren und sind auch Regisseure. So diente die Höhle beispielsweise 1966 für ein Szenenbild des Films »Nibelungen« mit Olympiasieger Uwe Beyer als Siegfried, und 2010 verirrten sich in ihr Tom Sawyer und Freundin Becky für eine filmische Neuauflage der Abenteuergeschichte von Mark Twain.
Verirren wird sich niemand mehr in den Gängen und Hallen. Sie können nur im Rahmen von Führungen besucht werden. Dabei erfährt das Publikum, wie wertvoll die Höhle für Wissenschaftler ist und welche Erkenntnisse sie dort bislang gewonnen haben. So wurden beispielsweise 1985 Werkzeuge der Neandertaler gefunden, und 2014 entdeckten Forscher bei Bohrungen einen bislang unbekannten Raum der Höhle. »Als herausragendes geologisches Objekt«, kennzeichnet sie der Geologe Ralf Nielbock vom der »Gesellschaft unicornu fossile«, die auf ihrer Internetpräsenz www.einhornhoehle.de umfassend über die Einhornhöhle und Besuchsmöglichkeiten informiert.
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