Pflege braucht nicht nur mehr Wertschätzung
Bundesweite Proteste und Aktionen zum Internationalen Tag der Pflege / LINKE: Bezahlung in Ost und West endlich angleichen / Zahl ausländischer Kräfte bundesweit um die Hälfte gestiegen
Berlin. Zum Internationalen Tag der Pflege an diesem Freitag haben Politik und Verbände mehr Wertschätzung für das oft stark belastete Personal angemahnt. Die Gewerkschaft ver.di und andere Sozialverbände beklagen die Arbeitsverdichtung als Folge eines gravierenden Personalmangels.
Mit vielen Aktionen macht die Diakonie am Freitag bundesweit auf Missstände in der Pflege aufmerksam. Fast alle Pflegekräfte wünschten sich mehr Zeit im Job, um eine bedarfsgerechte Pflege leisten zu können, heißt es in einer am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Mitteilung. Präsident Ulrich Lilie erklärte: »Die Menschen, die in unsere Pflegeheime kommen, werden immer älter, sind gebrechlicher und leiden häufiger an dementiellen Erkrankungen als früher. Die Pflege wird zeitaufwendiger, und darauf müssen wir reagieren.« Die Personalschlüssel in der stationären Pflege müssten endlich an diesen neuen Bedarf angepasst werden.
Ähnlich äußerte sich die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die regional unterschiedliche, aber quasi überall defizitäre Personalausstattung stelle die Pflege seit langem vor eine große Herausforderung und gehe zulasten der pflegebedürftigen Menschen sowie der beruflich Pflegenden. »Eine gute personelle Ausstattung ist eine wichtige Voraussetzung für eine weiterhin hohe Versorgungsqualität«, betonte AWO-Vorstand Brigitte Döcker.
Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte, die Beschäftigten ließen sich nicht mehr mit warmen Worten oder Mini-Pflege-Programmen abspeisen: »Selbstbewusst fordern sie Arbeitsbedingungen, die sie selbst nicht krank machen. Sie verlangen, dass sie das, was gute Pflege ausmacht, umsetzen können. Dazu braucht es deutlich mehr Personal.«
Nach ver.di-Berechnungen fehlen in deutschen Krankenhäusern 162.000 Vollzeitstellen, davon allein 70.000 Fachkräfte in der Pflege. »Würde man internationale Maßstäbe anlegen, fehlen in deutschen Kliniken alleine Nacht für Nacht mindestens 19.500 Vollzeitstellen, um eine angemessene und sichere Versorgung zu gewährleisten«, erläuterte die Gewerkschaft.
Zahl ausländischer Pfleger bundesweit um die Hälfte gestiegen
Um die Lücken zu schließen, werden seit Jahren verstärkt Arbeitskräfte aus dem anderen Ländern angeworben. Laut einem Bericht des MDR zufolge stieg die Zahl ausländischer Pflegekräfte in Deutschland seit Ende 2012 um mehr als die Hälfte. Sie stieg zwischen Dezember 2012 und September 2016 um 62 Prozent auf knapp 117.400, wie MDR Aktuell am Donnerstag in Halle unter Berufung auf die Bundesagentur für Arbeit berichtete. Damit seien zu diesem Zeitpunkt 6,7 Prozent der rund 1,7 Millionen Pflegekräfte in Deutschland Ausländer gewesen. Mehr als die Hälfte der ausländischen Pflegekräfte stammte dem Bericht zufolge aus Osteuropa. Dabei gehen sie ihrer Arbeit laut MDR bevorzugt in den alten Bundesländern nach.
Eine Sprecherin der Diakonie Sachsen sagte dem Sender, Grund dafür sei das Lohngefälle zwischen Ost und West. Wer als anerkannte Fachkraft seine Heimat verlasse, um im Ausland zu arbeiten, tue dies dort, wo er am besten bezahlt werde. »Und das ist ganz bestimmt nicht in Sachsen, sondern in Westdeutschland oder noch besser in der Schweiz«, sagte die Sprecherin dem MDR.
Konkret lässt sich der Unterschied auch in Zahlen ausdrücken: So forderte die gesundheitspolitische Sprecherin der LINKEN im sächsischen Landtag, Susanne Schaper, die Staatsregierung dazu auf anstatt immer nur auf die Unternehmen zu verweisen, selbst aktiv zu werden. »Ein Schritt wäre, sich auf Bundesebene für einen einheitlichen Pflegemindestlohn einzusetzen.« Laut Schaper beträgt der Pflegemindestlohn Ost 9,50 Euro, während in den alten Bundesländern 10,20 Euro pro Stunde gezahlt würden. »Ab 2018 wird der Abstand zwar von 70 auf 50 Cent verringert, dürfte aber 27 Jahre nach der Wiedervereinigung gar nicht mehr bestehen.«
Sozialverband: Pflegende Angehörige stärker unterstützen
Für den VdK erklärte Präsidentin Ulrike Mascher, Pflegkräfte müssten noch stärker entlastet werden. Ziel der Pflegepolitik in der nächsten Legislaturperiode müsse es sein, pflegende Angehörige vor allem finanziell, zeitlich und organisatorisch zu unterstützen. Notwendig sei etwa die rentenrechtliche Gleichstellung von Familienpflege- und Kindererziehungszeiten: »Menschen, die Angehörige pflegen, sollten keine Angst haben, später in Altersarmut zu geraten.«
Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage für das RTL-Trendbarometer möchten nur 15 Prozent der Deutschen in einem Heim gepflegt werden, sollten sie im Alter zu einem Pflegefall werden. 45 Prozent und damit die relativ meisten würden es vorziehen, daheim von einer Pflegekraft gepflegt zu werden. 29 Prozent der Befragten möchten zu Hause von Angehörigen gepflegt werden. Der am Donnerstag veröffentlichten Umfrage zufolge können sich knapp Zweidrittel der befragten Bürger (74 Prozent) vorstellen, einen nahen Angehörigen, der zum Pflegefall wird selbst zu Hause zu pflegen.
Das Bundesgesundheitsministerium geht davon aus, dass es bis 2060 etwa 4,7 Millionen Pflegebedürftige gibt - sie könnten dann sechs Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Agenturen/nd
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