Mord unter Geheimdienst-Aufsicht?

Journalisten bringen ukrainische Behörden in Verbindung mit tödlichem Attentat auf ihren Kollegen Scheremet

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Kollegen des vor zehn Monaten in Kiew ermordeten Journalisten Pawel Scheremet sind mit ihren Ermittlungen deutlich weiter gekommen als die zuständigen ukrainischen Behörden. Am Mittwochabend präsentierten die Journalisten des Internet-Senders Hromadske sowie des internationalen Recherchenetzwerkes OCCRP die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchungen. Deren Ergebnisse werfen vor allem zwei Fragen auf: Hatte die ukrainische Sicherheitsbehörde SBU etwas mit dem Mord an Scheremet zu tun - und wieso haben die Ermittler nicht genau das getan, was Journalisten unternahmen?

Denn zehn Monate sind bereits seit jenem Tag im Juli 2016 vergangen, an dem der aus Belarus stammende Journalist Scheremet im Auto seiner Frau und Journalistenkollegin Olena Pritula, bekannt als Gründungsredakteurin des Portals Ukrajinska Prawda, im Zentrum Kiews in die Luft gesprengt wurde. Doch trotz des Versprechens des offiziellen Kiews, der Mord am kritischen Journalisten werde schnell aufgeklärt, ist nur recht wenig passiert.

Grundsätzlich haben sich die Erkenntnisse der Polizei sowie des Inlandsgeheimdienstes SBU auf ein Video beschränkt, das zeigt, wie eine Frau und ein Mann den Sprengstoff am Auto von Pritula anbringen. Außerdem hat die Polizei im Februar betont, sie betrachte die journalistische Tätigkeit Scheremets als Hauptmotiv für den Mord. »Wir achten vor allem auf seine Recherchen, die nicht bis zu Ende geführt worden sind«, sagte der stellvertretende Polizeichef Olexander Wakulenko. Außerdem habe Scheremet in seiner Arbeit Belarus und Russland sehr kritisch gegenübergestanden, wo er früher lebte.

Damit war allerdings Schluss. Weitere Erkenntnisse konnten ukrainische Behörden in dieser langen Zeit nicht vorweisen. Die Autoren des Films aber haben mit Vertretern des rechten Bataillons »Asow« gesprochen, mit denen sich Scheremet bei Recherchen am Vorabend seiner Ermordung unterhalten hatte. Diese betonen nun, bereits damals eine Beschattung Scheremets entdeckt zu haben. Das haben sie nach eigenen Worten genau so der Polizei mitgeteilt. Den Journalisten ist es letztlich auch gelungen, die Videoaufnahme einer Straßenkamera aufzuspüren, auf der im Moment des Anbringens des Sprengsatzes zwei Autos zu sehen sind: Ein grauer Skoda und ein roter Mercedes.

Gerade dieser graue Skoda, der früher unbemerkt blieb, weckte die Aufmerksamkeit der Autoren. Schließlich baten sie das internationale Datenjournalismus-Projekt Bellingcat um Hilfe, um den Eigentürmer des Pkw zu identifizieren. Das Ergebnis fiel völlig überraschend aus: Es handelte sich um Ihor Ustimenko, der mindestens bis April 2014 - nach Angaben der Behörde selbst - SBU-Mitarbeiter war. Die Journalisten bezweifeln jedoch, dass Ustimenko seine SBU-Tätigkeit tatsächlich vor drei Jahren beendet habe.

Ustimenko traf sich mit den Journalisten und betonte, dass sich niemand von der Polizei oder vom SBU mit ihm in Verbindung gesetzt habe. Was der angeblich Ex-Mitarbeiter der ukrainischen Sicherheitsbehörde überhaupt in der Nähe des Autos von Pritula gemacht hat, bleibt unklar.

Nach eigenen Angaben von Ustimenko erfüllte er einen privaten Beschattungsauftrag, der nichts mit Scheremet zu tun gehabt habe. So oder so bleibt die große Frage, warum einer der wenigen Zeugen in diesem ganzen Fall überhaupt nicht vernommen wurde. »Die Ermittler wussten nicht von der Existenz Ustimenkos«, erklärt nun Innenminister Arsen Awakow. »Er wird nun zur Befragung vorgeladen. Ich bin aber nicht sicher, ob er nützlich sein kann.«

Eine weitere Merkwürdigkeit: Die Mitarbeiter des SBU haben die Videoaufnahmen der Kamera eines Geschäfts in der Nähe des Hauses von Pawel Scheremet entnommen - und gaben die Datenträger später gelöscht zurück. Das war nicht der einzige derartige Fall. So war es weder der Polizei noch den Journalisten möglich, an einige weitere Überwachungsaufnahmen zu kommen, weil diese ebenfalls vom SBU geholt worden waren.

»Natürlich sind das keine handfesten Beweise«, sagt Dmytro Gnap, einer der Autoren des Films. »Aber es ist zumindest sehr merkwürdig, wie der SBU in diesem Fall handelt.« Klar ist eines: Die Journalisten sind im Fall Scheremet tatsächlich deutlich weiter als die Behörden gekommen.

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