Wie Schönewerda zu einem Shiitake-Pilzwald kam

Thüringen: Echtes Holz, Sonne, Regen und keine Chemie - eine Pilzzucht setzt besondere Maßstäbe

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum hatte das Frühjahr begonnen, kam auch schon die Pilzsaison voll in Gang. Wer derzeit durch die Bottendorfer Straße im nordthüringischen Schönewerda rollt, entdeckt in einem lang gestreckten Grundstück ein eigenwilliges Bild: Hunderte Baumstämmchen, meist nur einen halben Meter hoch, reihen sich dicht an dicht wie Zinnsoldaten - und an den meisten sprießen bereits kraftvoll Baumpilze aus der Borke. Auch in dem dichten Wald aus Kreuzstapeln, der diese eigenwillige Baumschule beidseits begrenzt, lassen sich nun Tag für Tag mehr Austernseitlinge und Shiitake ausmachen. »Thüringer Freilandpilze« steht denn auch groß über dem Tor zu jenem Garten, in dem Anja Kolbe-Nelde das Sagen hat.

Pilze, erzählt die 38-Jährige, die im Hauptberuf Bankkunden berät, hätten sie schon als Fünfjährige fasziniert. Mit der Oma, einer Försterin, zog sie oft in aller Frühe in den Wald, um Pfifferlinge, Steinpilze oder Maronen zu finden. Später vertiefte sie sich in Fachbücher, durchstöberte das Internet nach Fachinformationen, besuchte Pilzsachverständigenkurse.

Den entscheidenden Anstoß zu ihrer heutigen Pilzzucht lieferte eines Tages ein Blick aus ihrem Wohnhaus. Der fiel auf die frühere Pferdewiese des Dorfes sowie das verwaiste »Konsum«-Gebäude. »Könnte man hier nicht...«, ging es ihr durch den Kopf. Und schon bald machte sie mit Hilfe von Familie und Freunden in monatelanger Schwerstarbeit die 2000 Quadratmeter große Fläche zunächst einmal urbar, man pflasterte Wege und schuf erste Infrastruktur. Allein das Eingraben der Pilzhölzer sei ein Kraftakt ohnegleichen gewesen, erinnert sie sich: »1500 Erdlöcher!«

Dabei plante sie ursprünglich alles gar nicht so groß, als sie vor zwei Jahren startete. Dann lernte sie aber Heinz Plage kennen, einen Rentner aus Allstedt und ebenso pilzversessenen wie sie selbst, womit die Weichen endgültig gestellt waren. Denn der 69-Jährige betrieb einst in den Behindertenwerkstätten in Halle (Sachsen-Anhalt) eine großflächige Pilzzucht genau so, wie sie es auch wollte: »Unter freiem Himmel und an echtem Holz - also nicht auf einem Substrat in Folienbeuteln, in das sich womöglich noch Sägemehl oder Altpapier mischen.«

Beide sehen sich damit bundesweit als Trendsetter. Denn sie kennen kein weiteres Beispiel, dass »Shiitake auf Holz unter freiem Himmel angebaut werden«. Nach den ersten zwei Jahren Praxis ist Anja Kolbe-Nelde sicher: »Wenn man sie auf Rohholz gedeihen lässt und damit auch Wind, Sonne und Regen aussetzt, wachsen frische Pilze in unvergleichlicher Qualität heran.« Ihre Shiitake & Co. zeichneten sich eben durch andere Inhaltsstoffe aus als Hallenware, weil zum Beispiel die direkte Sonneneinwirkung das Entstehen bestimmter Vitamine stimuliere. Zudem verzichte sie auf Kunstdünger und chemische Spritzmittel, will stattdessen ein Biosiegel beantragen.

Ab etwa zehn Grad Tagestemperatur würden in diesen Wochen an den Stämmen erst Shiitake und dann die ersten Büschel Austernseitlinge sichtbar, erzählt die Züchterin. Werde es noch wärmer, folgten Rosenseitlinge und Limonenseitlinge. Mehrere hundert Kilo kann sie so in einer Erntesaison gewinnen, die von März bis spät in den Herbst dauert. Denn dann treiben an den Stämmen auch Japanische Stockschwämmchen und Samtfußrüblinge ihre Fruchtbüschel aus.

Mit ihrem Projekt brachte Anja Kolbe-Nelde auch die regionale Gastronomie auf den Geschmack. Das Gros der Frischpilze verkauft sie indes auf Bauern- und Wochenendmärkten.

Eine zweite Schiene, die sich die Züchterin mit Ehemann Matthias aufbaute, dient inzwischen der Popularisierung ihrer Anbaumethode. Denn nun injiziert sie auch über den eigenen Bedarf hinaus solche Buchen- oder Eichenklötzer mit Pilzbrut. Dann muss etwa vier Monate gewartet werden, »dass sich der Pilz unter optimalen Bedingungen im Holz eingenistet hat und darin zu leben beginnt«.

Und schließlich offeriert sie jene Pilzhölzer anderen interessierten Hobbygärtnern oder kleinen Landwirten, die sich selbst einen Pilzgarten aufbauen wollen, sich aber an eine Zucht unter freiem Himmel selbst noch nicht herantrauen. Denn mittlerweile verfüge sie auch über aussagefähige Erfahrungen zur richtigen Temperatur und Luftfeuchtigkeit, sagt Anja Kolbe-Nelde. Ihre Nachnutzer fingen also nicht bei null an, sondern hätten dann sofort selbst schon Pilze am Pilzholz: »Ich verschaffe ihnen also zwei Jahre Vorlauf.«

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