Noch lange nicht alles klar in NRW
Kommt nun Schwarz-Gelb? Die Mehrheit ist sehr knapp - und einige Fragen sind offen
Am späten Sonntagabend war im Düsseldorfer Landtag nicht mehr viel los. Die anwesenden Fernsehteams bauten ihre Studios ab und auch die Stände, an denen es Essen und Getränke gab, packten langsam ein. Nur bei der FDP-Fraktion ging es noch hoch her. Sekt und Bier flossen in Strömen, neu Ankommende wurden begeistert begrüßt.
Die Liberalen klopften sich gegenseitig auf die Schulter. Über eine Million Menschen hatten im bevölkerungsreichsten Bundesland für die FDP gestimmt, also fast 400 000 mehr als bei der Landtagswahl von 2012. Parteichef und Spitzenkandidat Christian Lindner sagte, man könne an so einem Abend auch einmal »richtig feiern«. Nicht nur das zweifellos gute Ergebnis, sondern auch eine Regierungsbeteiligung im viel zitierten »Stammland« der Sozialdemokratie? Am Sonntagabend sah alles so aus, als werde die FDP künftig mit der CDU regieren.
Doch rasch dämpften die Liberalen diese Erwartungen. Am Montagmittag gab sich Christian Lindner gleich wieder kämpferisch. Er und seine Partei hätten die Wahlen gewonnen. Bei der CDU sähe es gar nicht so gut aus. Die FDP sei nicht gewählt worden, weil die Wähler den »Koalitionspartner von irgendjemandem stärken wollten«. Sondern weil sie für liberale Werte stehe. Die FDP sei natürlich bereit, Verantwortung zu tragen, aber nicht um jeden Preis.
Für Lindner persönlich und als Parteichef sind die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen der beste »Rückenwind« für die Bundestagswahlen. Sein Ziel ist klar. Düsseldorf ist für ihn nur eine Durchgangsstation. Er möchte mit einem ähnlich guten Ergebnis wie an Rhein und Ruhr auch in den Bundestag einziehen und dort eine starke FDP-Fraktion anführen. Langwierige Koalitionsverhandlungen und drei Monate Regierungsverantwortung in NRW könnten bei diesem Plan stören.
Auch Lindners möglicher Partner Armin Laschet ist zögerlich. Ja, mit der FDP habe man viele Gemeinsamkeiten, sagt der Wahlsieger. In der Arbeitsmarktpolitik sei man sich weitgehend einig, und auch in der Schulpolitik seien die Parteien auf einer Linie. Aber es gibt auch Knackpunkte: So ist die FDP für Studiengebühren und Laschet dagegen. Bei Fragen der inneren Sicherheit sei man zudem weit auseinander. Die CDU will Schleierfahndung, Videoüberwachung und befürwortet die Vorratsdatenspeicherung. Die Liberalen haben sich bisher dagegen ausgesprochen. Deswegen hält sich Laschet in der Koalitionsfrage erst einmal bedeckt. Er möchte mit allen Parteien außer der AfD sprechen.
Die Grünen, das räumt Laschet zwar ein, spielen bei seinen Überlegungen nur eine untergeordnete Rolle. Doch eine Koalition mit der SPD ist für Laschet offensichtlich noch nicht vom Tisch. Die einzige Bedingung scheint zu sein, dass der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger einer neuen Regierung nicht angehört. Das ist kein Wunder, schließlich war es die Sicherheitspolitik, mit der die CDU die Wahlen gewonnen hat.
Anfang April stellte Laschet sein Team für die Sicherheitspolitik vor. Angeführt wurde es vom langjährigen CDU-Bundestagspolitiker Wolfgang Bosbach und von Peter R. Neumann, einem in deutschen Medien häufig zitierten Terrorismusexperten vom Londoner King‘s College. Dass Laschet, der ein profilierter Integrations- und Bildungspolitiker ist, ausgerechnet mit dem Sicherheitsthema gewonnen hat, mutet dabei für Beobachter der NRW-Politik eigentlich wie ein Treppenwitz an. Denn dem CDU-Chef kann man politisch viel nachsagen, nicht aber ein Profil als harter Hund.
Wer in einer nun möglichen schwarz-gelben Koalition Innenminister werden könnte, ist daher zurzeit noch völlig unklar. Mitglieder der FDP-Fraktion verneinten am Wahlabend Bestrebungen, künftig den Innenminister stellen zu wollen. Ihnen wäre ein »Superministerium«, in dem Wirtschaft und Arbeit zusammengefasst werden, wichtiger. Aber auch bei der CDU im Land drängt sich kein Kandidat für dieses Amt auf. An profilierten Innenpolitikern mangelt es den Christdemokraten - und der gesundheitlich angeschlagene Bosbach steht nicht zur Verfügung.
Zudem würde ein schwarz-gelbes Bündnis hohe Anforderungen an die Koalitionsdisziplin stellen. Denn CDU und FDP hätten nur eine hauchdünne Mehrheit von einer einzigen Stimme. Die CDU wird also vermutlich zunächst abwarten, wie sich die SPD in Nordrhein-Westfalen in den kommenden Wochen aufstellt. Noch ist unklar, wer die Sozialdemokraten in der Zukunft führt. Der bisherige Verkehrsminister Michael Groschek wird als Übergangslösung gehandelt, auch der Name des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters Frank Baranowski fällt des Öfteren. Beide gelten als Pragmatiker und wären für Gespräche über eine Große Koalition sicherlich ansprechbar. Armin Laschet hat es nun in der Hand. Will er soziale Akzente setzen, koaliert er mit der SPD. Wenn er Wirtschaftsfreundlichkeit in den Vordergrund rücken will, sucht er die Einigung mit der FDP.
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