Pumpen bis zum Jüngsten Tag

Jährlich werden im Chemierevier Bitterfeld Millionen Kubikmeter Grundwasser entgiftet - ein Ende ist nicht in Sicht

  • Hendrik Lasch, Bitterfeld
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Grube ist voll. Die Wasserfläche der Goitzsche in Bitterfeld blinkt im Sonnenlicht; an den Ufern des Sees liegen Ausflugsschiffe und Segeljachten. Vor 30 Jahren wurde hier noch Braunkohle gefördert. Nach Ende des Bergbaus aber stieg das zuvor in großem Stil abgesenkte Grundwasser wieder an; es entstanden der See und rundherum ein Erholungsgebiet.

Der Aufstieg des Grundwassers hat in der Stadt im Süden Sachsen-Anhalts jedoch nicht nur angenehme Folgen. Es dringt auch in Erdschichten ein, die von der chemischen Industrie gravierend in Mitleidenschaft gezogen sind. Die Branche ist in Bitterfeld und Wolfen seit fast 125 Jahren ansässig; produziert wurden Filme und Zellstoff, synthetische Fasern, PVC und Grundstoffe. Immer wieder kam es in den Betrieben dabei zu Lecks und Havarien. Die Folge: Der Untergrund ist weiträumig mit Stoffen wie Chlor und Natronlauge, Kohlenwasserstoffen und Pflanzenschutzmitteln belastet, teils in extrem hoher Konzentration.

Rund 100 Millionen Kubikmeter Wasser gelten als verunreinigt. Damit, sagt Jürgen Stadelmann, Leiter der Landesanstalt für Altlastenfreistellung Sachsen-Anhalt (LAF), gehöre Bitterfeld-Wolfen zu den »größten Schadensfällen dieser Art in Deutschland«.

Die Landesanstalt und weitere Beteiligte versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen - unter anderem durch 72 Brunnen, die im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen und im Stadtgebiet Bitterfeld in die Tiefe gebohrt wurden. Über diese wird belastetes Grundwasser abgepumpt, über Rohrleitungen zu einem Klärwerk gebracht und gereinigt. Jährlich werden im Chemiepark bis zu 2,6 und unter der Stadt selbst 1,8 Millionen Kubikmeter gehoben. Insgesamt wurden 39 Millionen Kubikmeter behandelt, sagt Harald Rötschke von der mit der Durchführung beauftragten »Mitteldeutschen Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft« (MDSE).

Allerdings ist die Aufgabe trotz solch beeindruckender Zahlen nicht kleiner geworden. Erfasst und gereinigt wird überwiegend Wasser, das aus den verseuchten Schichten in Richtung Mulde strömt. So versucht man die Ausbreitung der Schadstoffe zu verhindern. Vielerorts im Boden unter den ehemaligen Chemiebetrieben seien diese aber so hoch konzentriert, dass es »nicht effektiv wäre, in einzelne Schwerpunkte hineinzugehen«, sagt Rötschke. Er bezeichnet die Sanierung des Grundwassers in Bitterfeld als »Generationenaufgabe«.

Das weiß auch Claudia Dalbert, grüne Umweltministerin von Sachsen-Anhalt. Es sei, sagte sie bei einem Besuch in Bitterfeld, »nach heutigem Ermessen nicht abzusehen, wie viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte das noch notwendig sein wird«.

Für das Land Sachsen-Anhalt ist der Umgang mit den Altlasten ein teures Unterfangen. Allein die Hebung und Behandlung des Schmutzwassers in Bitterfeld-Wolfen kostet elf bis zwölf Millionen Euro im Jahr. Dazu kommt in der Region die Sanierung zahlreicher früherer Kohlegruben, die später als Deponien genutzt, aber nicht entsprechend abgedichtet wurden. Auch verunreinigter Boden wird ausgetauscht, zum Beispiel im Chemiepark, wenn sich neue Firmen ansiedeln wollen. Nach Angaben Dalberts sind seit 1990 in die Sanierung von Erdreich und Grundwasser am Standort 380 Millionen Euro geflossen. Bitterfeld-Wolfen ist dabei nur einer von 15 großen Alt-Industriestandorten im Land, an denen mit unterschiedlichsten Altlasten zu kämpfen ist.

Die Ministerin verweist darauf, dass sichtbare Schäden inzwischen weitgehend beseitigt seien. Die unsichtbaren aber würden das Land noch lange beschäftigen. Nach Angaben Dalberts muss die LAF inzwischen rund 60 Prozent ihrer Ausgaben für die Sanierung von Schäden am Grundwasser aufwenden. Teils sorgen technische Probleme dafür, dass der Aufwand weiter wächst. In Bitterfeld-Wolfen etwa fielen wegen der Chemikalienfracht immer wieder Pumpen oder Brunnen aus, sagt Stadelmann. Mancherorts wolle man die Ausbreitung des belasteten Grundwassers daher nun durch Errichtung unterirdischer Dichtwände verhindern.

Entmutigen lassen sich die Verantwortlichen davon allerdings ebenso wenig wie vom Ausmaß des Umweltschadens. Es sei klar, dass dieser »auf absehbare Zeit nicht zu sanieren sein wird«, sagt zwar auch Stadelmann: »Aber wir beherrschen ihn.« Und Michael Polk, Geschäftsführer der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH, wirkt gleichfalls entspannt. Dadurch, dass die öffentlichen Hand weitgehend für die Beseitigung der Schäden aufkomme, sei gewährleistet, dass ansiedlungswillige Unternehmen nicht abgeschreckt werden: »Wir haben hier noch kein Investment am Altlastenproblem scheitern sehen.«

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