Heißes Eisen
Infusionen mit dem Spurenelement sind ein gutes Geschäft, ihr Nutzen bleibt in vielen Fällen umstritten
Eiseninfusionen boomen. Im Deutschland verschrieben Ärzte allein im Jahr 2015 rund 436 000 Eiseninfusionen - knapp 40 Prozent mehr als im Jahr 2011. Das zeigen Zahlen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, welches Daten von 71 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen auswertet.
Doch viele dieser intravenösen Eisenbehandlungen sind medizinisch unnötig. Die meisten Behandelten leiden nicht an Blutarmut. Eisen hilft, rote Blutkörperchen zu bilden. Laut Experten lässt sich am sogenannten Ferritinwert im Blutserum ablesen, ob Leber, Milz und Knochenmark genug Eisenvorräte haben. Ein Expertengremium der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält jedoch fest: Erst ein Ferritinwert unter 15 Nanogramm pro Milliliter Blut deutet bei einem Erwachsenen darauf hin, dass seine Eisenspeicher zu leer sind. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie kommt in ihrer Leitlinie zur Behandlung von Eisenarmut zum gleichen Schluss: »Ein Speichereisenmangel liegt vor, wenn die Ferritinkonzentration bei Männern unter 20 Nanogramm und bei Frauen unter 15 Nanogramm liegt«.
Viele Ärzte verordnen jedoch bei höheren Werten Eiseninfusionen. Rund 50 Ärzte in Deutschland gehören zum Beispiel dem Netzwerk »Swiss Iron Health Organisation« an. Dessen Gründer, der Schweizer Internist Urs Schaub aus dem Halbkanton Baselland, propagiert intravenöse Eisengaben auch bei Ferritinwerten unter 50 Nanogramm. Er glaubt, dass Eisenmangel oft nicht erkannt werde. Er macht ihn an Symptomen wie Erschöpfung, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und depressiven Verstimmungen fest.
Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber des Schweizer Fachblatts »Pharmakritik«, kennt keine rationalen Gründe, weshalb Personen mit vernünftigem Ferritinspiegel von über 15 Nanogramm von intravenös verabreichtem Eisen profitieren würden. Eine 2011 im US-Fachmagazin »Blood« veröffentlichte Studie zeigte, dass Infusionen nur Personen nützen, die Ferritinwerte unter 15 haben.
Vifor Pharma, ein großer Hersteller von Eisenpräparaten, verweist indes auf eine andere Studie, wonach es Patienten mit Herzinsuffizienz nutzt, Eisen intravenös zu bekommen. Allerdings haben die wenigsten, die eine Infusion erhalten, ein Herzleiden. Vifor räumt ein, dass die Ferritinwerte umstritten seien.
Unbestritten ist, dass Eiseninfusionen lebensbedrohlich sein können. In einem sogenannten Rote-Hand-Brief warnten mehrere Hersteller Ende 2013, dass »alle Eisenpräparate zur intravenösen Anwendung schwere Überempfindlichkeitsreaktionen mit tödlichem Ausgang verursachen« können. Es seien Fälle mit tödlichem Ausgang beobachtet worden. Laut Empfehlungen der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA soll nun stets eine Fachperson die Therapie überwachen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte registrierte im Zusammenhang mit den am häufigsten verschriebenen Infusionspräparaten Ferinject und Ferrlecit von Anfang 2008 bis Ende 2016 zusammen 536 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen - vom Hautausschlag, über allergische Reaktionen bis hin zum Blutdruckabfall.
Eiseninfusionen haben trotzdem einen guten Ruf. In Internetforen gibt es neben Diskussionen über Ferritinwerte und die besten Präparate auch begeisterte Äußerungen wie diese: »Ich merke förmlich, wie mein Akku wieder aufgeladen ist.« Der Placeboeffekt spielt nach Experten bei den intravenösen Behandlungen jedoch eine ausgeprägte Rolle. Zum Beispiel fühlten sich 40 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Studie aus dem Jahr 2001 nach einer angeblichen Eiseninfusion besser, obwohl sie nur ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff bekommen haben. Mit anderen Worten: Sehr viele Patientinnen und Patienten glauben an die Wirksamkeit dieser Therapie - nicht zuletzt wohl aufgrund der aufwendigen medizinischen Behandlung.
Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber des deutschen Fachmagazins »Arznei-Telegramm«, fordert angesichts des potenziell lebensbedrohlichen Risikos der Behandlung: Eine intravenöse Eisentherapie sollte »ein Mittel der letzten Wahl sein, wenn Patienten keine Tabletten nehmen können oder diese nicht wirken«.
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