Der Schulz-Hype fuhr eine Runde Paternoster
Welchen Anteil hatten die Medien am Aufstieg des SPD-Kanzlerkandidatens?
Nach drei aus SPD-Sicht verlorenen Wahlen überraschte Martin Schulz am Mittwoch im Interview mit zeit.de mit einer erstaunlichen Feststellung: »Ich habe von Anfang an vor dem Schulz-Hype gewarnt«, wird er zitiert. Ein Kanzlerkandidat also, der vor sich selbst mahnt und offenbar in den letzten Monaten nicht Teil der eigenen Inszenierung gewesen sein will. Und mehr noch gesteht Schulz: »Ich kann aber nicht ausschließen, dass ich mich selber davon habe beeindrucken lassen.« Wusste der SPD-Politiker also tatsächlich nicht, was ihn erwartete, als ihn Sigmar Gabriel von Brüssel ins Willy-Brandt-Haus lockte?
Fakt ist: Den viel strapazierten Schulz-Hype gab es. Die Genossen ließen kein Mikrofon aus, um zu betonen, dass Tausende Menschen mit Beginn der Ära Schulz den Weg in die SPD (wieder-)gefunden hätten. In den Monaten nach der Nominierung Ende Januar ging es in den Meinungsumfragen erst auf Augenhöhe mit der Union und schließlich wieder abwärts. Die SPD durfte mit ihren Emotionen eine volle Runde Paternoster fahren. Fragt sich: Befeuerten auch die Medien die von der SPD lancierte Euphoriewelle um den Ex-EU-Parlamentspräsidenten? Im Interview mit deutschlandfunk.de weist »Spiegel«-Chef Klaus Brinkbäumer jede Verantwortung für einen Hype von sich. Die Hamburger hätten zu Schulz eine »freundlich-neugierige, kritische Berichterstattung« abgeliefert, das »Spiegel«-Cover, das ihn als »Sankt Martin« zeigt, sei ironisch gemeint.
Bei einem anderen Cover, das Schulz in Überlebensgröße neben der Kanzlerin unter der Überschrift »Merkeldämmerung« zeigt, würde er jedoch Kritik annehmen, weil die Schlagzeile als »eine Tatsache, ohne Fragezeichen« abgedruckt wurde. Auch andere Medien, darunter »FAZ«, »SZ« und TV-Sendungen hätten Schulz nicht pauschal hochgejubelt. »Die kritischen Fragen kamen schnell, die kamen nicht erst, als Umfragen wieder in die andere Richtung gingen«, behauptet Brinkbäumer.
Stefan Winterbauer spricht auf meedia.de im Gegensatz dazu von einer »großen Schulz-Chor der Medien«. Als Beweis führt der Medienjournalist neben besagter »Merkeldämmerung« auch einen Titel des »Spiegel«-Konkurrenten »Stern« an. Darauf ist ein strahlender SPD-Kanzlerkandidat mit wehender roter Fahne vor dem Hintergrund einer grauen Kanzlerin zu sehen. In der Schlagzeile ist Schulz »Der Eroberer«.
Dazu habe es, so Winterbauer, in Artikeln und TV-Beiträgen immer wieder die gleichen Bilder gegeben: »Schulz bei kleinen Leuten, Schulz vor begeisterten Anhängern, Schulz klingelt an der Haustür. Der Mann aus Würselen. (...) Das waren Bilder, denen man sich nicht entziehen konnte.« Kontrastiert worden sei »die Schulz-Phorie« von Bildern des endlosen Streits zwischen Merkel und CSU-Chef Seehofer. »Hier die müde Merkel, da der vitale Schulz. Die Rollen waren verteilt, eine herrschende Meinung wieder einmal etabliert«, behauptet Winterbauer. Den Eindruck dieses medialen Zerrbildes konnte natürlich jeder gewinnen, der die journalistische Landschaft auf einige Flaggschiffe reduzierte. Aber wie so oft war die Berichterstattung differenzierter: auch beim Schulz-Hype.
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