Hymnen und Pfeifkonzerte zum Jubiläum
Bremen: Schatten über dem runden Landesgeburtstag
Schon zu Jahresbeginn hatte die SPD-Politikerin Gesine Schwan (SPD) auf dem traditionellen Neujahrsempfang des Bremer Senats im Weltkulturerbe-Rathaus den offiziellen Teil der Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen des kleinsten Bundeslandes abgearbeitet. Nun geht es auf Bremer Art weiter: Am ersten Juni-Sonntag, dem UNESCO-Welterbetag, wird das Rathaus für alle zur kostenlosen Besichtigung geöffnet. Ein Chor wird Liedgut über die Bremer Freiheit präsentieren, historisches Vermessungsgerät sowie eine fast 400 Jahre alte Landkarte werden zu bestaunen sein. Vor dem Rathaus können aussortierte, alte Kupferdachschindeln des Rathauses erworben werden. Dazu wird es eine Ausstellung über die vergangenen 70 Jahre Bremer Automobilgeschichte geben.
Und als wären bei der Programmgestaltung Schwans warme Worte über Bremen berücksichtigt worden, wird auf »alle gemeinsam« gesetzt. Letzteres ist wörtlich zu verstehen: Am Donnerstag vor dem Welterbetag sind alle eingeladen, gemeinsam auf dem Marktplatz elf eigens für den Anlass getextete und komponierte Lieder über die Entstehung Bremens und dessen Besonderheiten zu singen. Schulen und Chöre üben schon fleißig, alle anderen können spontan mitmachen.
Der rot-grüne Bremer Senat, der nach dem Austritt einer Abgeordneten aus der Grünen-Fraktion am Montag nur noch mit einer Stimme Mehrheit regiert, geht offensichtlich frohen Mutes in die Feierwoche: Anfang Mai hatte er sich eine hoffnungsfrohe Halbzeitbilanz ausgestellt, in der von Wachstumskurs die Rede war. Die Opposition benutzte andere Begriffe. Die LINKEN äußerten Sehnsucht nach einem Politikwechsel, die Liberalen sprachen von einem Trauerspiel, die CDU monierte Stillstand in der Senatsarbeit.
Tatsächlich veranstaltet das Volk längst Konzerte auf dem Marktplatz - wenn man denn Pfeifkonzerte an die Adresse des Senats oder dessen Mitglieder so nennen will. Eltern, Erzieherinnen und Gewerkschaft protestierten gerade auf diese Weise, weil die eh schon überfüllten Kita-Gruppen um noch ein Kind aufgestockt werden sollen. Die bereits am Limit arbeitenden Betreuungskräfte sehen sich ausgebeutet und die Eltern fühlen sich verschaukelt. Die zuständige SPD-Senatorin Claudia Bogedan bat um Verständnis für ihre Situation.
Ebenfalls schrille und laute Konzerte veranstalteten Angestellte des Gesamthafenbetriebsvereins (GHBV) Bremen mit Unterstützung der Gewerkschaft - in der in Bremen angesiedelten Vertriebsabteilung sollen etwa 130 Arbeitsplätze wegfallen. Mehrere Hundert andere Beschäftigte werden ihren Arbeitsort oder Arbeitgeber wechseln müssen. Der vor gut 100 Jahren zum Schutz der Hafentagelöhner gegründete Verein ist Dienstleister in den Häfen Bremens und Bremerhavens, die beide zusammen das Bundesland Bremen bilden. Außerdem bietet der GHBV der Industrie Logistikleistungen an.
Auch Gruppen, die sich eher selten in der Öffentlichkeit äußern, heizten der Bremer Politik ein. Michael Kreie, Vorsitzender des Bremer Fahrlehrerverbandes, meldete Protest an, weil trotz großer Umstrukturierung das Bürgeramt noch immer für die Bearbeitung der Zulassungen zur theoretischen Führerscheinprüfung zehn Wochen brauchte. Da viele Menschen aber auf eine schnelle Abwicklung angewiesen seien, weil sie für einen Arbeitsplatz oder eine Ausbildung einen Führerschein vorlegen müssten, würden hier Existenzen aufs Spiel gesetzt.
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