Ballstädt-Urteil: Überraschend hart, überraschend unreflektiert

Trotz Haftstrafen für Angeklagte: Nicht nur Anwälte der Nebenklage kritisieren Urteilsbegründung scharf

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

So widersprüchlich wie die Begründung des Urteils ist, so widersprüchlich geben sich die Angeklagten im Ballstädt-Prozess in der etwa einen Stunde, in der die zuständige Strafkammer des Landgerichts Erfurt über sie Recht spricht. Jedenfalls vorläufiges Recht, denn – das wird selbst der Vorsitzende Richter der Kammer, Holger Pröbstel, gleich einräumen – dieses Verfahren wird sicher in der einen oder anderen Weise in die Revision gehen. Das Urteil, das die Kammer an diesem Mittwoch in der thüringischen Landeshauptstadt wegen des Prozesses um den Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Landkreis Gotha im Februar 2014 fällt, ist (noch) nicht rechtskräftig.

Trotzdem blicken die meisten der insgesamt fünfzehn Angeklagten doch erst einmal versteinert vor sich hin, als Pröbstel ihnen eröffnet, dass die Kammer die meisten von ihnen zu deutlich härteren Strafen verurteilt, als die Staatsanwaltschaft Erfurt das in ihrem Plädoyer vor einigen Wochen gefordert hatte. Danach hatten viele der hier auf der Anklagebank versammelten Rechtsextremen damit rechnen können, mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen. Einige mal wieder, weil sie schon – teilweise massiv – vorbestraft sind.

Doch das Gericht spricht eben relativ harte Urteile. Strafmindernd wird bei vielen der Angeklagten unter anderem berücksichtigt, dass der Prozess gegen sie seit Dezember 2015 und damit schon ziemlich lange läuft – und trotzdem werden zwei Angeklagte wegen ihrer Beteiligung an dem Angriff auf die Kirmesgesellschaft zu Strafen von je drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt und acht Angeklagte erhalten Haftstrafen von jeweils etwa mehr als zwei Jahren. Nur ein Angeklagter erhält eine Bewährung: Statt ein Jahr und sechs Monate ins Gefängnis wird er für zwei Jahre unter Bewährungsaufsicht gestellt. Er hatte nach Angaben von Pröbstel bei der Polizei gegen viele der anderen Angeklagten ausgesagt und gilt nun – in den Worten des Vorsitzenden Richters – als »das Verräterschwein«, ohne das es diese Hauptverhandlung so nicht gegeben hätte. Während der Ermittlungen soll sogar überlegt worden sein, ihm Personenschutz zu gewähren...

Dass die Mehrzahl der Angeklagten – vier von ihnen werden freigesprochen, weil die Beweis gegen sie nicht ausreichen – nach Einschätzung des Gerichts immerhin zu schweren Gewalttaten fähig sind, das betont Pröbstel während seiner Urteilsbegründung noch einmal ganz ausdrücklich. Das habe der Überfall ja gezeigt. Der Angriff der Verurteilten auf die Kirmesgesellschaft sei »eine ungemein feige, brutale Tat« gewesen, die weit über das hinaus gehe, was in deutschen Gerichtssälen für gewöhnlich zu verhandeln sei, sagt er. Er spricht noch öfter von einem »brutalen Angriff auf Unschuldige« und einer »schrecklichen Tat«; was juristisch gesehen als eine gemeinschaftlich begangene, schwere Körperverletzung zu werten sei. Auch das freilich hat diesen seit Dezember 2015 laufenden Prozess zu etwas Besonderem gemacht, der einer der größten zuletzt laufenden gegen Angehörige der rechten Szene in ganz Deutschland war.

Nachdem Pröbstel allerdings mehrfach erklärt, die rechte Gesinnung der Angeklagten habe für die Tat und damit auch für die Kammer und ihr Urteil keine Rolle gespielt, da tauschen einige der Angeklagten immer mal wieder belustigte Blicke aus – die eben in starkem Widerspruch zu den versteinerten Mienen der Angeklagten in den Minuten zuvor stehen. Wozu der Widerspruch passt, dass Pröbstel zwar ausdrücklich sagt, die Kammer habe »keine Nazi-Tat« festgestellt – aber ebenfalls erklärt, für ihn und seine Kollegen stehe fest, die Angreifer hätten damit »Flagge zeigen« wollen in dem kleinen Ort in Mittelthüringen. Zehn Menschen waren bei dem Überfall schwer verletzt worden.

Nicht nur Anwälte der Nebenklage kritisieren die Urteilsbegründung deshalb scharf – auch wenn sie nicht unzufrieden damit sind, das beziehungsweise wie lange zehn der fünfzehn Angeklagten nach Einschätzung Pröbstels hinter Gittern sollen. »Der Vorsitzende entpolitisiert den Vorfall. Das heißt, die Kammer verschließt die Augen vor organisierten rechten Strukturen«, sagt beispielsweise Kristin Pietrzyk, die ein Opfer des Überfalls vertritt. Die Kammer spiele die Motivation der Angreifer herunter, die eben nicht nur ihr deutsches Haus und ihren deutschen Hof in Ballstädt hätten verteidigen wollen. Die Immobilie hatte einer der Angeklagten einige Monate vor dem Überfall gekauft. Auslöser für den Angriff war offenbar ein Steinwurf gegen dieses sogenannte »Gelbe Haus«, dessen Täter die Rechtsextremen unter den Kirmes-Feiernden vermuteten. Vielmehr, sagt Pietrzyk, hätten die Angreifer ihre Herrschaft über den Ort demonstrieren wollen, indem sie den Steinwurf als Anlass für den Überfall genommen hätten.

Die Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss sieht das ähnlich – und empfiehlt der Thüringer Justiz unmittelbar nach der Urteilsverkündung und -begründung deshalb »Weiterbildungsmaßnahmen«.

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