Den Blues kriegen
Thurston Moore
Ach was, nicht möglich! Und muss man das jetzt eigentlich heraushören können: Dass Thurston Moore sein jüngstes Soloalbum »Rock’n’Roll Consciousness« im Studio des Adele-Produzenten Paul Epworth aufgenommen hat? Will man das überhaupt: Seinen liebsten Noiserocker in den Händen eines abgezockten Mainstreampopproduzenten sehen? Natürlich nicht. Und, puh, man hört es auch gar nicht, als Laie. Moore, der mit seinen 58 Jahren zumindest auf Fotos noch immer ausschaut wie ein großer neugieriger Junge, war insbesondere an der anscheinend phänomenalen Aufnahmetechnik des Church Studio London interessiert. Wer weiß, was er dort sonst noch so getrieben hat. Über alte Zeiten nachgedacht?
So richtig stimmte der Begriff zuletzt natürlich nicht mehr: Noiserock. Vom eigenen Erbe scheinbar ungestümen Anti-Klischeerock-Krachs hatten sich Sonic Youth bereits ein paar Jahre vor ihrer bedauerlichen Auflösung im Jahr 2011 verabschiedet. Das letzte Studioalbum »The Eternal« (2009) hatte zwar noch heftige, dissonante, noisige Momente, aber zu hören waren - wie bereits auf dem geschmeidigen Vorgänger »Rather Ripped« (2006) - vor allem sehr viele anmutig-entspannte Passagen, silbrig glitzernde Gitarrenakkordfolgen und melancholische Melodien mit Pop-Einschlag.
»Rock’n’Roll Consciousness« nun ist im Vergleich zu Moores letzten, eher folkrockigen Solosachen einerseits überraschend nah dran an »The Eternal«. Das Album klingt nach späten Sonic Youth, wir hören getragene Melodien, Krachpassagen, Moores typisch dissonante Drei-Akkord-Gitarre, seinen ätherisch-nachdenklichen Gesang, Steve Shelleys kraftvoll-federndes Schlagzeugspiel. Andererseits fehlen Momente zwingender, kompakter Schönheit und wirklich griffige melodische Themen, Sonic-Youth-Hits sowieso.
Es wird sehr viel rumgedaddelt, ohne Punkt und Komma gewissermaßen, vieles verliert sich in der Entropie, versuppt im Nirgendwo. Was Absicht ist, keine Frage, aber deshalb nicht unbedingt gewinnbringend anzuhören.
Der für Sonic Youth typische Meditations-Hypnose-Effekt bleibt zumeist aus. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Moore James Sedwards an die Gitarre gelassen hat. Der Mann liebt den Blues und Neil Young, das hört man. Ganz besonders doll liebt er klassische Blues-Rock-Soli, nun ja. Wäre Moores Ex-Frau Kim Gordon tot, würde sie sich im Grabe umdrehen. Glücklicherweise lebt die ehemalige Sonic-Youth-Bassistin und -Gitarristin noch, spielt aber eben leider nicht mit. Solche Soli wären ihr definitiv nicht ins Art-Avantgarderock-Haus ihrer ehemaligen Band gekommen. Ihre coole Stimme fehlt auch, ach! Vermisst da etwa jemand Sonic Youth?
Thurston Moore: »Rock’n’Roll Consciousness« (Caroline / Universal)
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