Frankreich: Normalisierung der Ausnahme

Emmanuel Macron plant umfassendes Sicherheitsgesetz - auf Kosten von Bürgerrechten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Einer der ersten Tagesordnungspunkte der am 11. und 18. Juni neu zu wählenden französischen Nationalversammlung steht schon fest: Es ist die neuerliche Verlängerung des am 15. Juli auslaufenden Ausnahmezustands. Dieser wurde von Ex-Präsident François Hollande im November 2015 nur Stunden nach dem Terroranschlag auf den Konzertsaal Bataclan in Paris ausgerufen - und seitdem vom Parlament schon fünfmal verlängert.

Die nun anstehende sechste Verlängerung bis zum 1. November dieses Jahres wird jedoch möglicherweise die letzte sein. Nach einer Tagung des Nationalen Sicherheitsrates, abgehalten in der vergangenen Woche unmittelbar nach dem Anschlag von Manchester, hat der neue Präsident Emmanuel Macron angekündigt: Er strebe auf absehbare Sicht die Aufhebung des Ausnahmezustands an. Das ist riskant, so die Einschätzung von Kommentatoren. Denn wenn es danach zu einem neuerlichen schweren und opferreichen Terroranschlag kommt, setzt sich der Präsident Angriffen der Opposition aus. Sie könnten ihm vorwerfen, dass er nicht alles in seinen Kräften Stehende für die Sicherheit der Bürger getan hat.

Andererseits ist der Ausnahmezustand eine schwere finanzielle Belastung. Er bindet enorm viele Kräfte der Polizei und der Armee, die dadurch ihre normalen Aufgaben vernachlässigen müssen. Um den Kampf gegen den Terrorismus trotzdem unvermindert fortführen zu können, plant Macron, etliche Elemente des Ausnahmezustands im Rahmen eines umfassenden Sicherheitsgesetzes in »normales« Recht überzuführen und damit auf Dauer anzuwenden. Das soll vom neu gewählten Parlament möglichst noch vor Jahresende verabschiedet werden, wobei die Regierung aber wegen der Brisanz des Themas von einer mehrmonatigen Debatte ausgeht.

Zu den Maßnahmen, die übernommen werden sollen, könnte beispielsweise gehören, dass ohne Urteil der Justiz allein auf polizeilich-administrativem Wege über Verdächtige Hausarrest verhängt werden kann. Dazu gehören auch Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl und das Recht der Polizei und privater Sicherheitsdienste, landesweit an stark frequentierten Punkten und bei Großveranstaltungen den Inhalt von Taschen durchsuchen und Personen abtasten zu dürfen.

Gegen diese Pläne haben bereits eine Reihe von Vereinigungen Bedenken und Kritik geäußert. So verweist William Bourdon, Anwalt der Französischen Liga für Menschenrechte, darauf, dass der Ausnahmezustand unter Bezug auf die Terrorvorbeugung zahlreiche Bürgerrechte eingeschränkt hat, bis hin zum Versammlungs- und Demonstrationsrecht. »Bei den jetzt angekündigten Plänen müssen wir und die mit dem Gesetzentwurf befassten Parlamentarier sehr genau beobachten und hinsehen, damit nicht elementare Bürgerrechte auf der Strecke bleiben«, erklärt Bourdon. Der PS-Abgeordnete und Vorsitzende der Kommission für Innere Sicherheit der Nationalversammlung, Sebastien Pietrasanta, verweist darauf, dass »nur ganz wenige Terroristen dank des Ausnahmezustands entdeckt und der Justiz zugeführt werden konnten«. Der Ausnahmezustand sei vor allem eine Demonstration der Politiker gegenüber der Öffentlichkeit und diese Wirkung lasse schnell nach. Davon zeuge, dass von den insgesamt 4500 administrativ angeordneten Hausdurchsuchungen 85 Prozent in den ersten sechs Monaten stattfanden.

Nach den verschiedenen Terroranschlägen der vergangenen zweieinhalb Jahre wurde das geltende Recht schon mehrfach entweder bei der Verlängerung des Ausnahmezustands oder bereits durch neue Gesetz verschärft. So dürfen Polizei und andere Sicherheitskräfte seit Juli 2015 bei Terrorverdacht ohne richterliche Erlaubnis Privaträumen abhören und filmen sowie die Internetkommunikation von Privatpersonen überwachen und aufzeichnen. Seit November 2015 gilt die bereits erwähnte »Liberalisierung« von Hausarrest und Hausdurchsuchungen. Und seit März 2016 dürfen nicht nur Polizisten, sondern auch Mitarbeiter der Staatsbahn SNCF und der Pariser Verkehrsbetriebe RATP verdächtige Reisende und deren Gepäck durchsuchen. Nach dem Mord an Polizisten in deren häuslicher Umgebung wurde den Sicherheitskräften im Juni 2016 das Recht eingeräumt, auch nach Feierabend ihre Dienstwaffe mit sich zu führen und sie nicht nur zur Selbstverteidigung, sondern auch zur Vereitelung von Terrorakten einzusetzen. Außerdem können seitdem Hausdurchsuchungen auch nachts durchgeführt werden. Nach dem Anschlag vom Juli 2016 in Nizza wurde den kommunalen und regionalen Behörden im ganzen Land das Recht eingeräumt, jegliche Großveranstaltung zu verbieten, wenn dabei nach ihrer Einschätzung die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleistet ist.

Was von all diesen mehr oder weniger vorübergehenden Maßnahmen auf Dauer in das neue und umfassend gedachte Sicherheitsgesetz übernommen wird, dürfte das Parlament in den nächsten Monaten beschäftigen und auch von der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt werden. Die hat nach Einschätzung eines Polizei-Gewerkschafters »alles in allem ein erstaunlich großes Verständnis für die verschärften Sicherungsmaßnahmen, wenn sie mit der Terrorabwehr begründet werden«.

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