Für ein Wochenende einmal adlig sein
Dänisches Nationalmuseum arrangiert Familientreffen mehr als 1000 Jahre nach König Gorms Tod
»Kurmr kunukr karthi kubl thusi aft thurui kunu sina tanmarkar but«. So steht es geschrieben auf dem sogenannten Kleinen Jellingrunenstein - und das sind die ersten Worte, die von einem dänischen König überliefert sind. Sie stammen aus dem Jahr 950. Übersetzt heißt es, dass Gorm (Kurmr) diesen Stein setzte für seine verstorbene Frau Thyra (Thurui), der Zierde Dänemarks (Tanmarkar). Hier setzt ein Witwer nicht nur einen Grabstein für seine hochgeschätzte Frau, er verkündet auch der Welt, dass er König sei und über Dänemark herrsche.
Noch heute ist der Runenstein zusammen mit dem Großen Jellingstein eine Art Wallfahrtsort für die Dänen, wenn sie den Geburtsort ihres Landes besuchen wollen. Den Museumsleuten fiel mit der Zeit auf, dass erstaunlich viele Menschen beim Besuch der Runensteine und der dazugehörigen Grabhügel erklären, von Gorm abzustammen und gewissermaßen blaues Blut in den Adern hätten.
Ein paar Spinner kann ein Museum verkraften, aber irgendwann begann man, den Behauptungen wissenschaftlich nachzugehen. Dabei zeigte es sich, dass Gorm, der als Gründer der Jellingdynastie gilt, vielleicht 100 000 Nachfahren hat. Nicht schlecht für einen Mann, der vier Kinder und neun Enkel hatte. Ahnenforscher rechnen, dass seit Gorms Todesjahr 958 ihm etwa 38 Generationen gefolgt sind. Aber wie kann ein heutiger Däne seine Abstammung über so lange Zeit nachweisen?
Geschlechterforschung ist ein beliebtes Hobby in Dänemark. Im Falle von Gorm und seinen Nachfahren sind die folgenden Generationen in zeitgenössischen dänischen und ausländischen Quellen sehr gut dokumentiert. Die Jellingdynastie splitterte sich auf in zahlreiche Linien und eine davon führt zur heutigen Königsfamilie. Königin Margrethe II. ist die 50. dänische Regentin nach Gorm und hat damit die längste Familienlinie europäischer Königsfamilien. Spätestens ab dem 13. Jahrhundert können die Ahnenforscher auf Urkunden zu Gerichtsprozessen und Besitzverhältnissen zurückgreifen - die ersten Adelstafeln ab dem 14. Jahrhundert. Ab 15. Jahrhundert kann dann oft auf Kirchenbücher zurückgegriffen werden. Es ist also nicht unmöglich, aber schwierig, die Abstammung vom letzten heidnischen König des Landes, der Wotan, Tiu und Freya dem christlichen Gott vorzog, nachzuweisen.
Das Museum von Jelling in Ostjütland beschloss Anfang des Jahres, ein Familienfest besonderer Art zu arrangieren. Es lud alle Dänen, die meinen, ihre Abstammung auf Gorm zurückführen zu können, zu einem Vetter-Cousine-Fest nach Jelling ein. Die 500 Karten waren rasch vergriffen. Bei prachtvollem Sommerwetter hatten Gorms Nachfahren Gelegenheit, eine Reihe Vorträge zu hören über Familienforschung. Ganz im Sinne des alten Königs wurde der Tag mit einer königlichen Tafel abgeschlossen, bei der es auch an Met, dem feinsten Getränk der Wikingerzeit, nicht fehlen durfte.
Das Nationalmuseum sorgte dafür, dass anerkannte Ahnenforscher zur Stelle waren, die die mitgebrachten Ahnentafeln einer ersten Untersuchung unterwarfen. Einige mussten auch mit dem Bescheid wieder nach Hause fahren, dass ihre Familie wohl doch nicht vom alten König abstammen konnte. Andere hingegen bekamen eine Art Ritterschlag, wenn die Experten mit dem vorgelegten Material zufrieden waren.
Der Abstammungsnachweis fiel den Nachfahren adeliger Familien natürlich am leichtesten, aber in der Mehrzahl waren die Gäste normale Bürger, die durchschnittlichen Berufen nachgehen. Über die Generationen hinweg können viele von ihnen einen sozialen Auf- und Abstieg verfolgen, wenn es den Vorfahren nicht gelang, Besitz, Boden und Stand zu bewahren. Die Verzweigungen in jeder Generation lassen es statistisch möglich erscheinen, dass es tatsächlich 100 000 Nachkommen von Gorm gibt, aber bewiesen ist es nicht. Der ultimative Beweis, ein DNA-Test, ist ohnehin nicht möglich, da es nicht völlig sicher ist, dass das Skelett, das in der Kirche von Jelling liegt, auch wirklich Gorm ist.
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