- In Bewegung
- G20 Hamburg
Die Herrschaft der G20 wird in unserem Alltag in Frage gestellt
In Berlin finden Aktionstage statt, um gegen das Gipfeltreffen in Hamburg zu mobilisieren
Wenn in Hamburg Anfang Juli der G20-Gipfel stattfindet, trifft sich das politische Personal der 19 mächtigsten Industriestaaten und der EU, um sich als kompetente Krisenmanager*innen in Zeiten von Krieg und Krise zu inszenieren. Dieser Gipfel ist für die global herrschende Klasse ein Repräsentationsinstrument und dient gleichzeitig der Aufrechterhaltung einer Weltordnung, die für diverse kriegerische Konflikte, globale Ausbeutungsverhältnisse, weit verbreitete Armut und über 60 Millionen Menschen auf der Flucht verantwortlich ist.
Hamburg wurde von der Bundesregierung als Bühne gewählt, um sich als selbstbewusste Führungsmacht innerhalb der kapitalistischen Konkurrenzgemeinschaft zu etablieren. Ein weiteres Signal geht an den Widerstand. Nachdem sich die großen Politgipfel in Europa im Zuge der Ereignisse von Genua 2001 und der Ermordung Carlo Guilianis aufs Land zurückgezogen hatten, betreten sie jetzt wieder voller Selbstbewusstsein die großstädtische Bühne Hamburgs. Das ist auch eine Nachricht an alle diejenigen, die sich nach Hamburg aufmachen wollen. Nicht umsonst arbeiten Politik, Polizei und hanseatische Medien seit geraumer Zeit an einer Angstkampagne, die mit allen Eventualitäten spielt, potentielle Todesopfer einkalkuliert und damit im Vorfeld jeden Widerstand diskreditieren will.
Natürlich werden wir ihnen diese Bühne streitig machen. Wir wollen in Hamburg eine radikale und transnationale Welt des Widerstands der mörderischen Welt der G20 entgegenstellen. Deswegen mobilisieren wir seit geraumer Zeit nach Hamburg.
Lokale Kämpfe mit dem Großen verbinden
Andererseits liegt unser Fokus in Berlin. Wir müssen uns fragen, wo sich Herrschaft konkret manifestiert. Wir denken, das tut sie vor allem in den alltäglichen Zwangsverhältnissen. Ob in den prekären Lohnarbeitsverhältnissen, unter denen mittlerweile auch viele Menschen in Deutschland leiden. Ob auf dem Jobcenter, wo die Menschen in eben jene Verhältnisse gezwungen werden. Ob auf der Ausländerbehörde, wo sich die rassistischen und kolonialistischen Verhältnisse, die einen imperialistischen Staat wie Deutschland prägen, jeden Tag aufs neue reproduzieren oder in den patriarchalen Strukturen, die unsere Leben durchziehen. Diese Aufzählung könnten wir endlos weiter führen. Kurz gesagt: Herrschaft manifestiert sich im Alltag.
Der Alltag ist aber auch der Ort, wo diese Herrschaft angegriffen und in Frage gestellt wird. Aus diesem Grund rufen wir zu Berliner Aktionstagen gegen die Welt der G20 auf.
Unsere Hoffnung ist es, dass sich unsere unterschiedlichen Kämpfe wieder verbinden. Von Alltagskämpfen gegen Verdrängung, Initiativen gegen institutionalisierten Rassismus über Interventionen gegen den sexistischen Normalzustand, bis zu lokalen Initiativen mit internationalistischem Fokus, wie die kurdische Bewegung, die Anti-Trump-Coalition oder Brasilianer*innen, die auch in Berlin gegen die Putsch-Regierung von Michel Temer kämpfen. Wir verstehen all diese Kämpfe und Initiativen als Teil eines umfassenden Widerstands, der die Welt der G20 in Frage stellt.
Nicht auf Augenhöhe
Wir mobilisieren während der Berliner Aktionstage vor allem zur Demonstration gegen die sogenannte G20-African-Partnership-Conference. Eine der vielen thematischen G20-Konferenzen die unter der deutschen G20-Präsidentschaft am 12. und 13. Juni in Berlin stattfinden soll. Die Demonstration startet am 10. Juni um 15 Uhr am Potsdamer Platz und möchte ein starkes Zeichen für globale Bewegungsfreiheit und eine selbstbestimmte Entwicklung setzen. Denn unter anderem soll bei der Konferenz der sogenannte Marshallplan für Afrika verhandelt werden, dessen Entwurf aus der Feder des deutschen Entwicklungsministers stammt.
In diesem Plan, der von einer Vielzahl afrikanischer Kritiker*innen als paternalistisch und undifferenziert bewertet wurde, ist von afrikanischen Reform-Champions die Rede (wie z.B. das Königreich Marokko). Dabei handelt es sich um Staaten, die sich dem Ausbeutungsmodell der G20 mittels der Öffnung ihrer Märkte und dem Diktat von Hauptinvestitionsinteressen (vorrangig die Migrationskontrolle) fügen. Diese dürfen dann am Katzentisch mitdiskutieren, dürfen »Mobilitätspartnerschaften« unterzeichnen, welche die Mobilität innerhalb des afrikanischen Kontinents einschränken und den kapitalistischen Inseln des Wohlstands die Migrant*innen vom Hals halten. Wenn von Partnerschaft die Rede ist, sind nicht Verhandlungen auf Augenhöhe gemeint, sondern die deutsche Außenwirtschaftsförderung durch erzwungene Private-Public-Partnerships und die Öffnung afrikanischer Märkte.
Afrikanische Staaten sollen der Privatwirtschaft kapitalistischer Kernstaaten die Tür aufhalten, und ihnen helfen, auf dem wachsenden afrikanischen Markt ihre schwächelnde Akkumulation wieder in Gang zu bringen. Die europäischen Außengrenzen werden in den afrikanischen Kontinent verlagert, deutsche Firmen und Institutionen wie die Bundesdruckerei oder die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit rüsten diese Grenzen hoch und sorgen dafür, dass auch bei zunehmendem Widerstand gegen lokale und europäische Eliten, die Zahl der sich vor Elend und Verfolgung Flüchtenden, in Europa nicht zunimmt. Die tausenden Toten im Mittelmeer werden dabei billigend in Kauf genommen. Dieser Wettlauf der Konzerne erinnert an die Afrikakonferenz von 1884/85.
Warum findet die G20-Afrika-Partnerschafts-Konferenz ausgerechnet in Berlin statt, einer Stadt, die wie kaum eine Zweite symbolisch für die koloniale Zurichtung des afrikanischen Kontinents steht? Wer wird hier eigentlich von wem eingeladen? Können wir uns von so einem Zusammenkommen mehr erwarten als eine scheinheilige Abschlusserklärung und die Verabschiedung von Entwicklungsfonds die in Militäreinsätze in innerafrikanischen Konflikte und Grenztechnologie fließt?
Aktionstage in Berlin
Der Auftakt der Aktionstage wird am 2. Juni eine Videokundgebung an der deutschen Oper sein. Dort wird der Film »Der Polizeistaatsbesuch« gezeigt. An diesem Tag jährt sich die Ermordung Benno Ohnesorgs durch den Berliner Polizisten Kurras zum fünfzigsten Mal. Auch die Demonstration am 2. Juni 1967 richtete sich gegen die neokoloniale Kollaboration der jungen BRD mit autoritären Regimen. Der Mord an Benno Ohnesorg sorgte für die Ausweitung und Radikalisierung der damaligen außerparlamentarischen Opposition. Wir sehen uns auch als ein Teil dieser Geschichte und halten daher den fünfzigsten Jahrestag für einen wichtigen Ort der Erinnerung. Nicht nur Benno Ohnesorg, Carlo Guiliani, Oury Jalloh und andere bekannte Opfer gehen auf das Konto der G20-Staaten. Tausende und Abertausende von namenlosen Toten, die in Kriegen umgebracht werden, auf der Flucht ertrinken oder vor Hunger sterben. – Die Welt der G20 ist mit Leichen gepflastert.
Wir werden ihnen mit entschlossenem Widerstand entgegentreten. Bei den Berliner Aktionstagen und in Hamburg. Vor allem aber möchten wir, dass die vielen existierenden emanzipatorischen Kämpfe und Initiativen im Rahmen der G20 Proteste zusammenkommen. Schließlich geht es darum, für eine Welt zu streiten frei von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.