Exil für den Revolutionsladen gefunden

Nach einem Rechtsstreit hat der M99 einen neuen Standort in der Falckensteinstraße 46

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 4 Min.

Hans-Georg Lindenau ist ungeduldig. Um 12 Uhr soll ein Helfer kommen, um Wände in seinem neuen Laden zu streichen. Bis dahin möchte er noch die Werkzeuge bereitstellen, um Regale anzubringen, in die er später seine Waren stellen möchte. Gemischtwaren – nicht nur, aber auch für den Revolutionsbedarf.

Der M99 hat einen neuen Standort gefunden, seit Mai renovieren freiwillige Helfer am »Institut für Umverteilung« in der Falckensteinstraße Räume im Erdgeschoss, um den rollstuhlgerechten Betrieb des »Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf« inklusive Wohnräumen zu ermöglichen. »Die Wohnung ist quasi ein Traum für rollstuhlgerechtes Wohnen und Gewerbebetreiben«, freut sich Lindenau. »Mit den großen Fenstern muss ich auch keine Klaustrophobie mehr haben.«

Seinen alten Laden und die Wohnung in der Manteuffelstraße 99 muss er bis zum 30. Juni besenrein übergeben. Mit dem Umzug geht ein jahrelanger Rechtsstreit zu Ende. 2015 hatte der neue Hausbesitzer ihm gekündigt, Lindenau soll mehrfach gegen den Mietvertrag verstoßen haben. Der 58-Jährige, der seit Ende der 70er Jahre in der linken Szene in Berlin bekannt ist, vermutet Profitgier hinter der Kündigung. »Mieter mit preiswertem Wohnraum sind in Deutschland Staatsfeind Nummer eins«, empört er sich. Mehrfach drohte ihm im vergangenen Jahr die Zwangsräumung, die letzte stoppte im September gerade noch rechtzeitig ein Gerichtsbeschluss: Zunächst müsse ein medizinisches Gutachten klären, ob Lindenau im Fall des Verlusts seines Ladens suizidgefährdet sei. Nun also die Falckensteinstraße. »Exil Nummer acht«, lacht Lindenau. Das erste Mal eröffnete er einen Laden 1978 in einem besetzten Haus in der Ackerstraße.

Den Umzug an die Oberbaumbrücke wollte Lindenau eigentlich schon bis Ende Mai abgeschlossen haben. Aber: »Ich muss auch auf die Vorstellungen Rücksicht nehmen, die die freiwilligen Helfer haben. Die wollen unbedingt die Böden abschleifen und die Wände neu streichen, bevor ich einziehe.« Zwischenzeitlich wohnte er bereits ein paar Tage dort, musste allerdings wieder in die Manteuffelstraße zurückkehren, um die Renovierungsarbeiten abschließen zu können.

Die Waren will Lindenau vom 2. bis 17. Juni umziehen, dazu hat er sich ein Motto überlegt: »Vom Beginn der Utopie bis zum Zweifel an der Utopie«. Eindringlich spricht er, seine Stimme erhebt sich. »Der 17. Juni 1953, das war doch das Ende der Utopie.« Am 18. Juni ist dann »der Neubeginn des Gemischtwarenladens mit Revolutionsbedarf«, der, geht es nach Lindenau, das Rüstzeug für neue Utopien bereithält. Vorher sucht er noch viele helfende Hände, die beim Anbringen der Regale mit anpacken.

Ob Allwetterjacken, Handschuhe, Aufkleber oder Antifa-T-Shirts – im M 99 findet sich alles, was für den Revolutionslifestyle gebraucht werden kann. Dazu Fair-Trade-Kaffee und linke Literatur. Wer schon einmal den alten M99 besucht hat, weiß, wie dunkel und vollgestopft der Laden ist. Dagegen sieht der neue Laden geradezu riesig aus. Zwei Räume gibt es, 108 Quadratmeter, dazu noch einmal 30 Quadratmeter im Keller für weitere Waren. Damit ist die Fläche zwar kleiner als in der Manteuffelstraße 99, wo er 160 Quadratmeter hatte. »Dafür ist sie viel besser geschnitten«, sagt Lindenau.

Die Renovierungsarbeiten sind unterschiedlich weit in den verschiedenen Räumen. Einige Fußböden sind noch schwarz lackiert und warten darauf, abgeschliffen zu werden, andere Räume müssen gestrichen werden, ein großer Haufen Regalstreben türmt sich, um an den Wänden angebracht zu werden. Auch das Bett steht noch im Laden, die anschließenden Wohnräume sind noch nicht so weit.
Ein bisschen Wehmut überfällt den 58-Jährigen schon, denn der Umzug bedeutet auch, dass ihm sein alter Kiez genommen wird. Die Geschäfte in der Oranienstraße, dem »Kreuzberger Ku’damm«, wie er die Straße nennt, hätten ihn unterstützt, die Kunden darauf hingewiesen, bei ihm einzukaufen. »Das fällt nun weg.«

Bis zum 17. Juni will Lindenau beide Läden geöffnet lassen: Morgens der in der Manteuffelstraße, abends in der Falckensteinstraße. Dort soll der Laden auch als Galerie für ein paar von ihm geschaffene Kunstwerke dienen und bis spät in der Nacht geöffnet haben. Das passt auch zum anderen Klientel des Kiezes um das Schlesische Tor. In unmittelbarer Nähe zum Geschäft ist der Nachtclub »Watergate« und viele Restaurants und Bars. Ob das Feierpublikum auch Revolutionsbedarf hat?

Für die Renovierungsarbeiten, speziell für das Anbringen der Regale, sucht Hans-Georg Lindenau noch Unterstützung. Wer helfen will, kann sich bei ihm unter der Telefonnummer 030 3700 8816 melden.

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