Der verstummte Gesetzgeber
Sachsens Verfassung ist 25 Jahre alt - Änderungswünsche scheitern an der CDU
In Sachsen gibt es zwei Gesetzgeber. Das legt die vor 25 Jahren, am 6. Juni 1992, beschlossene Landesverfassung in Artikel 70 fest. Gesetze, so ist dort zu lesen, werden »vom Landtag oder unmittelbar vom Volk durch Volksentscheid beschlossen«. Soweit die Theorie. In der Praxis ist ein gewisses Ungleichgewicht zu beobachten. Die Zahl der Gesetze, die in einem Vierteljahrhundert das Parlament passiert haben, ist Legion. Das sächsische Volk kam deutlich seltener zum Zuge - genauer gesagt: ein Mal. Im Oktober 2001 beschloss es ein Sparkassengesetz. Sieben weitere Anläufe blieben ohne Erfolg, seit 2003 gab es nicht einmal mehr einen Versuch. Die Verfassung, sagte LINKE-Rechtsexperte Klaus Bartl bei einer Veranstaltung seiner Fraktion zum Jubiläum des Gesetzeswerkes, habe »ihre Versprechen in dem Punkt nicht gehalten«.
Bartl hat das vor 25 Jahren schon geahnt. Er war damals Chef der Fraktion Linke Liste/PDS, deren Abgeordnete der Verfassung mehrheitlich ihre Zustimmung verweigerten - unter anderem, weil sie die Hürden für die Volksgesetzgebung als zu hoch ansahen. Damit es zu Volksentscheiden kommt, müssen 450 000 Bürger ein Volksbegehren mittragen - das sind heute etwa 13 Prozent der Wahlberechtigten. Die Regelung war ein im Frühjahr 1992 nach hartem Tauziehen gefundener Kompromiss, erinnert sich der einstige SPD-Abgeordnete Bernd Kunzmann.
Zu jener Zeit war bereits viele Monate über die Verfassung beraten worden, zunächst von einer Arbeitsgruppe, die in Gohrisch in der Sächsischen Schweiz beriet und parteiübergreifend besetzt war - wenn er auch als PDS-Mann am Katzentisch platziert worden sei, wie Bartl dieser Tage im Interview der »Freien Presse« erzählte.
Bereits im Juni 1990 hatte ein erster Entwurf vorgelegen, den Bürger rege kommentierten: Er habe Berge von Briefen gesichtet und Änderungsvorschläge formuliert, erinnert sich Jürgen Rühmann, damals Mitarbeiter im Justizministerium und heute Vizepräsident des Verfassungsgerichtes. Im Landtag entstand dann ein zweiter Entwurf, der am 26. Mai 1992 im Parlament mit über 87 Prozent Zustimmung beschlossen wurde. Es war die erste Verfassung in einem ostdeutschen Bundesland. Dass der Entwurf nicht auch den Bürgern zur Abstimmung vorgelegt wurde, hält mancher noch heute für falsch. Es sei ein »Geburtsfehler«, sagt der frühere grüne Abgeordnete Karl-Heinz Gerstenberg und verweist auf Volksentscheide wie in Brandenburg. An der dortigen Abstimmung hätten aber weniger als 50 Prozent der Bürger teilgenommen, sagt Kunzmann: »Ist die dortige Verfassung damit legitimer als unsere?« In Sachsen habe man vorrangig eine möglichst breite Zustimmung im Landtag angestrebt, sagt Marko Schiemann (CDU), langjähriger Chef des Verfassungs- und Rechtsausschusses - unter anderem durch Zugeständnisse an die SPD bei der Volksgesetzgebung. Es gebe weit weniger Fallstricke als in anderen Bundesländern, sagt Kunzmann und fügt hinzu: »Unsere Verfassung kann sich noch immer sehen lassen.«
Den Satz unterschreibt auch Bartl. Die Verfassung sei es »in jedem Punkt wert, sie zu verteidigen«, sagt er und fügt an, er würde heute nicht mehr mit Nein stimmen, sondern sich enthalten. Man dürfe sie aber auch nicht »konservieren«, sagt Gerstenberg. Der Grüne sieht Modernisierungsbedarf beim Umwelt- und Datenschutz; die LINKE beantragt mit einem aktuellen Vorstoß gerade, den Begriff »Rasse« zu streichen, und hätte auch etliche weitere Vorschläge für Neuerungen.
Die waren alle schon einmal aufgeschrieben worden - als die damalige Koalition von CDU und FDP um Stimmen der Opposition für die 2013 erfolgte Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung warb, für die man eine Zweidrittelmehrheit benötigte. Bei LINKE, Grünen und SPD bestand damals die Hoffnung, der Verfassung eine viel weitergehende Verjüngungskur verordnen zu können.
Daraus wurde nichts: Die CDU blockte alle Wünsche. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Lockerungen bei der Volksgesetzgebung kann sich auch die SPD vorstellen, die seit 2014 mitregiert; wegen des Koalitionspartners verfolge man das Ansinnen aber »vorerst« nicht, sagt der SPD-Abgeordnete Harald Baumann-Hasske - und erntet prompt einen Einwurf des erklärten »Verfassungshüters« Schiemann von der CDU: »Was heißt hier ›vorerst‹?!«
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